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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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vielleicht erst vor kurzem in die Vormittagsruhe dieses Appartements hineingeraten?
    |409| Es war eigentlich nicht sehr wohlerzogen von Bonnetti, daß er sie mit keinem Wort bekannt gemacht hatte. Er war doch, wenn man sich in der Wohnung umsah, ein weltläufiger Mann, mit Verbindungen, die Stephan einem Maler, dessen Namen er nicht kannte, gar nicht zugetraut hätte. Stephan dachte an seinen Vater, der Gemälde sammelte, französische Gemälde überdies, und dem seine »Stücke«, wie er sie nannte, Gegenstand einer öffentlich zelebrierten Verehrung waren. Und dennoch sprach Willy vom »Künstlervölkchen« in einem Ton, der nicht nur seiner Ehrerbietung für die Malerei, wenn sie erst einmal bei ihm an der Wand hing, auffällig wenig entsprach, sondern der zugleich ein Element bourgeoiser Geringschätzung enthielt, die Stephan immer etwas peinlich war, die er aber jetzt zum erstenmal verstand. »Was bildet sich der Kerl eigentlich ein«, fragte sich Stephan, »der will auf Händen getragen werden und lebt mitten in Paris herrlich und in Freuden. Den kümmert’s gar nicht, wie es jetzt den andern geht, solange er aus Amerika seinen Whisky geliefert bekommt.«
    Die Ungerechtigkeit dieser Gedanken mußte Stephan sich nicht reuevoll selbst bestätigen. Es kam ihm auch nicht darauf an, Bonnetti gerecht zu werden, viel weniger noch, seinen Lebenswandel zu erforschen. Stephan wollte etwas ganz anderes wissen. Die Ungeduld, die ihn bei diesem Wunsch regierte, und das Unvermögen, ganz schnell mit einer einzigen schlagenden Frage dieser Ungeduld Genüge zu tun, schuf in ihm einen Grimm, der sich in der abfälligsten Beurteilung Bonnettis zunächst noch erschöpfte. Aimée jedoch kam in diesem Teil von Stephans Betrachtungen nicht mehr vor; er hatte sie in Gedanken schon aus diesen kargen Luxusgemächern hinaus in die frische Luft geführt und in sein Auto gesetzt.
    Auf einmal wurde ihm klar, warum Bonnetti, der nach wie vor am Zeichentisch saß, einen dermaßen fahrigen Eindruck machte. Er war in Wahrheit keineswegs fahrig, er war im Gegenteil eifrig bei der Arbeit, tauchte immer wieder den Pinsel ein, mischte Farben und streifte Wasser aus den vollgesogenen Haaren. Was er sagte, war im Grunde nur eine ihn selbst beruhigende |410| Begleitmusik, ein Schutzschild, mit dem er sich weniger die beiden Anwesenden als die eigenen Überlegungen und Bedenken vom Halse hielt.
    »Ich male ein Bild für Madame Meyrish«, erklärte er beiläufig. »Ich bin so analphabetisch, daß ich ihr nichts schreiben kann, und sie liebt das Improvisierte über alles.« Ohne den Kopf zu heben, sprach er mit der albernen Kopfstimme des Transvestiten, zugleich einen affektierten amerikanischen Akzent annehmend, weiter: »Oh, Charlie, wenn Sie improvisieren, dann sind Sie wirklich groß! Ihre Improvisationen sind das Geistvollste, was Sie je für mich gemacht haben! Sie sollten überhaupt nur improvisieren. Das ist Ihre eigentliche Stärke!«
    Aimée lachte wie ein Schuljunge, der gekitzelt wird, hoch und japsend. Sie lag nun wieder lang ausgestreckt auf dem Rücken. Stephan sah jetzt, daß sie barfuß war, aber er verstand nicht, wie sie sich so schnell ihre Strümpfe hatte ausziehen können, die sie, als sie auf dem Bauch lag, noch getragen hatte. Es dauerte eine Weile, bis er entdeckte, daß Aimée sich die Seidenstrümpfe auf die nackten Beine geschminkt hatte, indem sie auf die Haut einen zarten Braunton auftrug und die Fersen und Nähte mit einem Augenbrauenstift einzeichnete. Von vorn sahen ihre nackten Füße aus, als sei sie mit ihnen in Mehl herumgelaufen, denn wenn sie die Schuhe auszog, wurde der Trennungsstrich zwischen geschminkter und ungeschminkter Haut deutlich.
    »Kommen Sie mal her, Sie kleine Exzellenz«, sagte der nach wie vor mit seinem Aquarellblock befaßte Maler, »ist das was für Madame Meyrish? Ist das was für das Boudoir dieser Freundin aller Künstler? Sie haßt dieses Rosa, das ich da verwende, weil sie eine Amerikanerin mit Europatick ist und deshalb ihr unschuldsvolles Verhältnis zum Pink gestört ist. Ich erkenne die soziale Klasse der Menschen an ihrem Verhältnis zum Rosa: Das ist eine Farbe für Fürsten und für Plebejer, aber nichts für den geschmackvollen Mittelstand.«
    »Exzellenz bin ich noch grad net«, sagte Stephan geniert, erhob sich aber brav und ging zu Bonnetti hinüber, unablässig |411| Aimée dabei im Auge behaltend, die gerade alle in ihrer Reichweite befindlichen mauvefarbenen Seidenkissen

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