Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)
PROLOG
Ich bin auf den Namen Emanuel getauft worden. Meine Mutter hat das einst so entschieden, weil dieser Name eine Bedeutung hat: Gott ist mit dir.
Gewiss hatte meine Mutter mit diesem Namen nur das Beste für mich im Sinn. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, muss ich aber feststellen, dass der Allmächtige mir selten nahe war. Eigentlich habe ich mich ihm immer gegenüber fremd gefühlt. Mit den Jahren begann ich daran zu zweifeln, dass Gott tatsächlich in der Lage ist, in unser Leben einzugreifen. Nicht zuletzt deshalb, weil ich so häufig zum Zeugen merkwürdiger religiöser Ausschweifungen wurde.
Ich will hier einen Bericht über ein Ereignis ablegen, das meine Ernüchterung besser nachvollziehen lässt. Das Geschehene liegt lange zurück. Damals war ich ein Mann von noch nicht ganz dreißig Jahren. Doch trotz all der Zeit, die seitdem vergangen ist, haben sich die Vorkommnisse so tief in meine Erinnerung eingegraben, dass ich mich in der Lage sehe, diese Geschichte wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ichwerde erzählen, was mir im Jahr 1534 in der Stadt Münster widerfahren ist. Münster wurde zu dieser Zeit von den Landsknechten des Bischofs Franz von Waldeck belagert. Die Stadt befand sich in der Gewalt der Wiedertäufer, einer Gemeinschaft christlicher Sektierer. Sie hatten sich in Münster verschanzt, um dort ein Neues Jerusalem zu errichten. Diese Menschen waren davon überzeugt, dass Gottes reinigendes Strafgericht schon bald über die Welt hereinbrechen und nur die aufrechte Gemeinde Christi verschonen würde – die sich nach Ansicht der Täufer in Münster versammelt hatte.
Ich war zugegen in diesem Neuen Zion, in dem sich der ehemalige Hurenwirt Jan Bockelson zum Propheten und bald darauf zum König erhob, um seine Gemeinde nach der Apokalypse in die von der Sünde befreite neue Welt zu führen. Um das zu erreichen, predigte der Prophet Besitzlosigkeit, trug aber am eigenen Leib die kostbarsten Gewänder. Er ließ seine Anhänger aufgrund geringer moralischer Verfehlungen hinrichten, erlaubte jedoch die Vielehe und heiratete selbst sechzehn Weiber.
Schon damals gelangte ich zu der Überzeugung, dass der Himmelsvater nicht in der Lage ist, in das Treiben seiner Schöpfung einzugreifen. Ansonsten wäre dem Bockelson während seiner Königskrönung gewiss ein gewaltiger Blitz in den Arsch gefahren, unddie Erde hätte sich aufgetan, um ganz Münster in den Abgrund zu reißen.
Ich selbst betrat die Stadt erst, als das Täuferreich schon ins Leben gerufen worden war, und ich hatte sie bereits verlassen, als das Neue Zion nach einer monatelangen Belagerung unter den Lanzen und Schwertern der blutgierigen Landsknechte ein schreckliches Ende nahm. Doch die Zeit, die ich in der Gemeinschaft der Wiedertäufer verbrachte, reicht gewiss aus, um Zeugnis über diese groteske Komödie ablegen zu können.
Böse Zungen mögen behaupten, ich sei ein Betrüger und Aufschneider, aber ich schwöre jeden Eid darauf, dass meine Worte der Wahrheit entsprechen – so unglaublich sie auch klingen mögen.
KAPITEL 1
Die Geschichte, die ich hier erzählen will, nimmt ihren Anfang nicht in Münster, sondern in Osnabrück, einer westfälischen Bischofsstadt, die sich im Nordwesten der deutschen Länder als wichtiger Handelsplatz für Leinenstoffe hervorgetan hat. Auch das übrige Handwerk florierte in Osnabrück. Vor allem das Brauwesen nahm hier eine Sonderstellung ein. Im Gegensatz zu anderen Städten galt das Brauen in Osnabrück als freies Gewerbe. Jedem Bürger war es gestattet, in seinem Haus Bier zum eigenen Gebrauch herzustellen. Und in den Tavernen wurde ein Kräuterbier ausgeschenkt, das die Osnabrücker Grüsing nannten. Dieses würzige Gebräu mundete nicht jedem. Mir jedoch schmeckte es vorzüglich. Wann immer ich Osnabrück einen Besuch abstattete, führte mich mein Weg stets in die Schankwirtschaften, damit ich mich an diesem Höllentrunk laben konnte.
Natürlich war das Kräuterbier für mich nicht der eigentliche Grund, nach Osnabrück zu reisen. Es waren vielmehr besonders lohnende Feierlichkeiten, diemich lockten. Im Oktober des vergangenen Jahres hatte ich mich mit meinen Begleitern beim Fest zu Ehren von Crispin und Crispinian, den Schutzheiligen des Osnabrücker Domes, in der Stadt aufgehalten. Nun, im August des Jahres 1534, statteten wir Osnabrück erneut einen Besuch ab. Unsere Gemeinschaft bestand damals aus mir, meiner Tochter Mieke, dem Medikus Reynold sowie meiner Gefährtin Jasmin, die mich
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