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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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saumon die Rede, übrigens auch nicht etwa von expliziten Vorwürfen, dazu wäre sich Mr. Homan Potterton bei weitem zu schade gewesen, und so fand denn zwischen beiden ein betont beiläufiges, verlegenes Gemurmel statt, von dem nur der Kenner ahnen konnte, daß es Stephan Unbehagen bereitete und die Erinnerung an die liebevoll ausgestattete Reise von Paris nach Vichy sich trübte. Dennoch hatte Mr. Potterton offenbar Schwierigkeiten, aus dem Vorfall sofort seine Konsequenzen zu ziehen und Stephan eine dienstliche Auslastung hinfort zu garantieren. Schon in Paris hatte sich Stephan überflüssig gefühlt. Im eingeschränkten Botschaftsbetrieb |401| von Vichy hätte selbst ein Arbeitserfinder von den Graden eines Homan Potterton schwerlich eine Beschäftigung für Stephan ersinnen können. Beiden war die Erleichterung in dieser Not von den Gesichtern abzulesen, als Potterton Stephan zu sich kommen ließ und ihm auftrug, sich anderntags so früh wie möglich nach Paris zu begeben, um eine Reihe von Kommissionen im Namen der Botschaft zu erledigen. Es handelte sich um Bestellungen höchst privater Art, die unerledigt geblieben wären, hätte die Botschaft nicht über einen Gehilfen wie Stephan verfügt. Potterton fand über der Rettung der Disziplin seine Ruhe wieder, und Stephan sah sich für den unabsehbaren Zeitraum von drei Tagen aus dem Reich der goldenen Moschee beurlaubt, in dem es die längste Zeit über so erdrückend langweilig war.
    »Das ist jetzt Boris, jetzt wird Boris zurückgebracht«, sagte eine Männerstimme hinter der Etagentür, an der Stephan geklingelt hatte, weil ihm die Adresse, ein altes, hohes Haus in der Nähe des Odéon, auf der Liste des Mr. Potterton genannt worden war. Das einzige Mal, daß Stephan der Name Boris schon begegnet war, lag in seiner Erinnerung viel weiter zurück, als es tatsächlich der Fall war, aber Frankfurt entwich in Stephans Gedächtnis mehr und mehr in die Zonen der Unkenntlichkeit. Ines Wafelaerts besaß einen besonders bösartigen Langhaardackel, den sie Boris getauft hatte, ein Tier, in dessen Charakter sich Feigheit und Bissigkeit tückisch mischten. Boris kannte seine Herrin und nutzte seine Kenntnis zu dem tyrannischsten Betragen, dessen ein Haustier, das in Wohl und Wehe von der menschlichen Geduld abhängt, nur fähig sein kann. An den stillen Sonntagvormittagen ertönte in den Straßen des Westends der wehklagende Ruf: »Boris, mein kleiner böser Schatz.« Denn Ines’ ganzes Herz hing an diesem launischen Köter.
    Boris hatte sich wieder einmal einen kleinen Manierismus zunutze gemacht, an dem Ines gleichwohl festhielt und den ich selbst noch bei ihr beobachten durfte, die Hundeleine nämlich stets nur mit zwei Fingern, die graziös in Brusthöhe schwebten, festzuhalten. Boris, der scheinheilig eine ganze Weile vor ihr hergetrottet war, preschte plötzlich vor und riß mit scharfem |402| Ruck die Leine aus ihren Fingern, flitzte um die Straßenecke und schleifte die Leine im Dreck hinter sich her. Ines stand indessen wie eine Mutter am Meeresstrand, die zusieht, wie ihr Kind ertrinkt. Niemals nahm sie die Bosheit zur Kenntnis, mit der Boris ihr einen solchen Schrecken zufügte. Sie erlebte seine Fluchten vielmehr wie ein von niemandem verschuldetes, beiden gemeinsam widerfahrenes Unglück, und sie tröstete den knurrenden Dackel mit bewegten Worten, wenn er wieder eingefangen war, denn sie wollte nun einmal daran glauben, daß Boris unter seinem Ausreißen in Wahrheit noch weit schmerzlicher gelitten habe als sie selbst.
    Auch hier nun wurde Boris vermißt, was allerdings das Gute hatte, daß nicht beim Öffnen eines Türspalts solch eine verwöhnte Wurst auf vier Beinen hervorschoß, um Stephan in die Hose zu beißen, weil sie ihn wegen seines dunkelblauen Anzugs für den Briefträger hielt. Die Stimme hinter der Tür entfernte sich wieder, Stephan hörte noch ein schwaches: »Ach Gott, ach Gott« rufen und glaubte, daß geisterhafte Vorgänge im Innern der Wohnung nunmehr ganz von dem Besucher im Treppenhaus abgelenkt hätten. Boris schien nicht dringlich erwartet zu werden. Ines hätte bei dem Verdacht, Boris stehe draußen, die Tür aufgerissen, selbst wenn sie eben noch in der Badewanne gesessen hätte, denn sie lebte in der Überzeugung, daß die großen Augenblicke im Leben des Menschen keine Scham kannten. Die Männerstimme brummte nun wieder ganz nah, und auf einmal ging die Tür auf und ein dicker Mann in seidenem Morgenrock mit ein paar

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