Das Bett
fürchtete, im Vaterland seiner Frau vollends unter die Fuchtel zu geraten.
Als Florence nun in dem schwarzen Auto ihres Sohnes durch die von Bomben schwer getroffene Stadt ihrer ersten Ehejahre fuhr, sah sie teilnahmslos durch die getönten Scheiben und schüttelte nur einmal ernst den Kopf, als an der Stelle, an der die hübsche Villa ihrer einzigen Freundin gestanden hatte, nun ein großer Backsteinhaufen lag, vor dem eine Würstchenbude aufgebaut worden war. Selbstverständlich galt dieses Kopfschütteln nur der Erinnerung an einige angenehme Augenblicke, die sie in diesem Haus verbracht hatte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß mit der Zerstörung des Hauses vielleicht auch ein Vermögensverfall ihrer Freundin eingetreten war, der es der alten Frau verbieten würde, ihr Haus wieder aufzubauen. Für Florence war der Krieg wie eine Erdbebenkatastrophe, aus der alle Überlebenden ebenso hervorgehen, wie sie hineingeraten sind: die Mittellosen arm, die Leute in soliden Verhältnissen eben reich.
»Hoffentlich hat sie vorher alles photographieren lassen«, dachte Florence und beschloß sofort, diese Maßnahme in ihrem Haus in Long Island zu veranlassen. Sie dachte an den Fall einer Sturmflut oder wenn die Japsen doch noch kommen sollten.
Ob sie damit wohl Stephan betrauen konnte? Er war ja technisch eigentlich nicht ungeschickt, obwohl es bei ihm nie zum Flugschein gelangt hatte; und selbst dann, wenn es mißlang, war das besser für ihn, als sich mit der alten Agnes herumzutreiben und auf kein Telex aus New York zu antworten.
Agnes war vor dem Krieg das Kindermädchen der Korns. Obwohl sie dem Dialekt nach Frankfurterin war, war sie katholisch getauft, wohl von ihrem aus dem Westerwald gekommenen Großvater mütterlicherseits her. Sie hatte sogar einmal eine Stelle als Pfarrköchin, bei dem eichhörnchenhaften Monsignore nämlich, und zwar zu dessen hoffnungsvollsten Zeiten: Er war damals im Gespräch, Weihbischof zu werden, was er aus Gründen, die meine Mutter kannte, dann jedoch nicht geworden war. |48| Als sein Stern sank, verließ ihn auch Agnes, die auf äußerste Reputation ihrer Dienstherren sah. Sie achtete auf den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Status der Häuser, in denen sie arbeitete, wie ein Seismograph, und sie hatte eine ganze Woche, bevor endgültig feststand, daß Rechtsanwalt Oppenheimer in der Inflationszeit sein gesamtes Vermögen verloren hatte, ihren Koffer gepackt und die Familie Oppenheimer mit mageren Gründen und einem beleidigten Mund verlassen, um zu Korns überzusiedeln, die gerade ihr zweites Kind, nämlich Stephan, erwarteten.
Die Verbindung, die Agnes und Stephan in den folgenden Jahren eingingen, war spätestens von der Zeit an, in der Stephan, übrigens zögernd, zu sprechen begann, die eines alten Ehepaares: ebenso wenig herzlich und ebenso unauflöslich. Dabei verhielt sich Agnes scheinbar wie alle andern Ammen und Bonnen auf der Welt: Sie stellte ihrem vor sich hin blubbernden Pflegling die immer gleichen Fragen, von denen im vorhinein feststeht, daß er sie nicht beantworten, geschweige denn auch nur verstehen kann. Der Unterschied bestand bei Agnes darin, daß sie das: »Ei, was machst du denn da?«, »Ei, willst du denn nicht Ham-Ham machen?«, »Ei, was bist du denn für einer?« nicht in jenem eintönigen Singsang vorbrachte, der auf keine Antwort rechnet und die Sprechende wie betäubt oder doch mindestens geistesabwesend erscheinen läßt, sondern in einer naiven Ernsthaftigkeit, der sie stets eine kleine Pause folgen ließ, wie um die Antwort Stephans abzuwarten, deren Ausbleiben sie entgegennahm, wie sie das Schweigen eines Ehemanns hinter der ausgebreiteten Zeitung hingenommen hätte, keinesfalls also als Zeichen des Unvermögens zu sprechen, sondern als Unwilligkeit, sich jetzt mit ihr zu unterhalten.
Auch als Stephan dann endlich fließend sprechen konnte, blieb der Charakter ihrer Gespräche der gleiche. Einsilbiges vor sich hinmurmelnd, zogen die beiden Hand in Hand durch die weitläufigen Parks der Stadt. Dann und wann bückte sich Stephan, um ein Stöckchen, einen Zigarrenstummel oder ein Stückchen Hundedreck anzufassen. Dann erwachte Agnes aus |49| ihrem Gleichmut, denn Furcht um sein blaues Samtmäntelchen erfüllte sie, und sie sagte mit einer greinenden Stimme, die den Ekel vor dem unsauberen Gegenstand schauspielerisch darstellen sollte: »Net! Net! Laß des. Des is bä bä!« Stephan hielt inne und sah sie an: »Warum?« Agnes
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