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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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ein Idiom, in dem es unmöglich ist, elegant oder gar tragisch zu wirken, und das in der |45| Ausprägung der gehobenen Bourgeoisie, was die untragische Wirkung dieser Sprache nur noch steigerte. Zwar war auch die Aussprache meiner Tante nicht ganz frei von den Dialektfarben ihrer Heimat, aber sie gehörte zu den Menschen, die nicht mehr imstande sind, ihren eigenen Dialekt wahrzunehmen, die vielmehr von sich selbst mit bescheidenem Stolz behaupten, ein vollkommen gereinigtes Hochdeutsch zu sprechen, und deren Amüsiertheit über ihnen unvertraute Dialektspuren in den Reden anderer Menschen niemals abnimmt. Aber Stephan wich in so vielen anderen Beziehungen von dem, was ihr normalerweise begegnete, ab, daß sein feines Frankfurterisch im Zusammenhang mit seiner exotischen Persönlichkeit nur noch ein weiteres extravagantes Detail für sie war.
    Beispielsweise lag auf der Hand, daß Stephan Korn im Unterschied zu fast allen Menschen, die meine Tante kannte, nicht zur Beichte gehen mußte. Meine Tante war außerordentlich erregt, als sie dieses Faktum von meiner Mutter erfuhr, und ihre Verwirrung stieg, als sie den ironischen Kommentar meiner Mutter zu dem Fehlen dieser Pflicht hörte: »Die brauchen das nicht, bei denen muß man nicht beichten, das sind nämlich bessere Menschen als wir, die sündigen nicht.«
    Meine Tante, die unfähig war, Zweideutigkeiten oder ironische Bemerkungen von ernst Gemeintem zu unterscheiden, betrachtete Stephan von diesem Tag an mit noch größerer Neugier. In ihrer Phantasie rückten die Kurierflieger und die Erzengel in innigere Nähe.
    Es war sicher ein Glück für meine Tante, daß sie Stephan Korn niemals in Gesellschaft seiner Mutter gesehen hat. Auch für meine Eltern war ihr Auftauchen fast ein Schock, weil sie mit Nachdruck Rechenschaft über das Treiben ihres Sohnes in Deutschland forderte und sehr verstimmt war, als sie ihn nicht in dem Hotelappartement auffinden konnte, das er ihr als Adresse in Long Island zurückgelassen hatte, sondern erfahren mußte, wo sie ihren Sohn zu suchen hatte. Sie war völlig unsentimental und hatte zu alten Dienstboten nicht im entferntesten die Beziehung der Leute, die ihrem ehemaligen Kindermädchen zu Weihnachten |46| ein Pfund Kaffee ins Altersheim schicken und zugleich beständig versichern: »Wir lieben unsere alte Detta heiß und innig!«
    Florence Korn, geborene Gutmann, war eine Frau, deren Auftreten niemals ohne Wirkung blieb. Stephans Chauffeur, der von seinem melancholischen Herrn gewöhnt war, schon gleich am Morgen, wenn er ihn nach kurzer Fahrt abgesetzt hatte, wieder nach Hause geschickt zu werden, mußte sich auf lange Wartestunden in dem großen schwarzen Auto einrichten, das die kleinen Jungen bestaunten, denn in den ramponierten Straßen unseres Viertels war etwas derart Kostbares und Neues schon lange nicht mehr gesehen worden.
    Wo aber war Stephan geblieben, der von seiner Mutter Urlaub nur erhalten hatte, um sich um den Wiederaufbau und den Gang der Geschäfte der in der Nähe der Stadt gelegenen Kornschen Autoreifenfabrik zu kümmern?
    Florence Korn hatte gegen Frankfurt im Grunde wenig einzuwenden. Natürlich war sie ihrem Mann nicht mit besonders guter Laune aus New York, wo jeder sie kannte, nach Deutschland gefolgt. Aber ihr strenges Prinzip, eine Frau habe ihrem Mann überallhin bis in das letzte Nest zu folgen, welches sie ebenso hochhielt wie ihr zweites Prinzip, der Mann habe in allen übrigen Fragen der Frau untertan zu sein, ließ bei der ersten Bewährungsprobe der jung Vermählten keine Ausnahme zu. Außerdem verlor sie New York nicht aus den Augen. Einmal im Jahr, zum Geburtstag ihres Vaters, war sie ohnehin ein paar Wochen in Amerika und erzählte von den Absonderlichkeiten der deutschen Provinz, wenn sie im Salon ihres Elternhauses saß, der mit abgelaugten Louis-quinze-Sesseln und Ansichten der »Kirschblüte in der Normandie« ausgestattet war. Je mehr erst das politische Chaos und dann der Terror in Deutschland wuchsen, desto mehr bezog sie Distanz zum Land und zur Stadt. Sie war wie die Passagierin eines Luxusdampfers im Hafen von Kalkutta, die in ihrer eisigen Gepflegtheit durch die schmutzstarrenden Straßen geht und auch, wenn sie Angst hat, immer weiß, daß in sicherer Nähe das große Schiff mit seinen leuchtenden Sälen auf sie wartet, um sie |47| wieder in seinen Schutz aufzunehmen. Sie fand es allenfalls überflüssig, die Abfahrt nach New York so lange hinauszuzögern, wie ihr Mann es tat, der

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