Das Bett
Dr. Tiroler zu widersprechen, denn sie konnte sich eigentlich nicht vorstellen, wann Stephan einen Schock erlitten haben könnte. Dr. Tiroler ging hinauf in Stephans Schlafzimmer, und siehe da, es dauerte nicht lange, und Stephan erschien, sehr blaß, aber tadellos rasiert, mit einem ungestärkten Seidentaschentuch in der Brusttasche wie eine welke Gardenie und nahm von nun an teil an den Mahlzeiten, fuhr sogar manchmal morgens mit dem Vater ins Geschäft und verabredete sich dann mit seiner Mutter zum Mittagessen in der Stadt. Trotzdem konnte man nicht sagen, daß er wieder in Schwung gekommen war. Er blieb ein rohes Ei und lag viele Stunden wortlos im Liegestuhl, in der Richtung auf das graue Meer mit seinen tausend kleinen Wellen, deren ständigen Wechsel man viele Stunden betrachten kann, den er aber nicht betrachtete, weil seine Augen auf einen Putto aus Kunststein, zwei Schritte von ihm entfernt, gerichtet waren, um sich dessen törichtes Grinsen und die zusammengebackenen Weintrauben, die er in den Händen hielt, einzuprägen.
Der Zielgerichtetheit dieses Blicks entsprach dann, wenige Jahre später, die Anweisung, die Stephan Korn, kaum daß er in Frankfurt wieder angekommen war, nach einigen geschickten Telephonaten im Hotel, seinem Chauffeur gab, ohne darüber nachzudenken, was er eigentlich wolle und wie es an der Adresse, die er angegeben hatte, eigentlich weitergehen solle.
Das Auto hielt vor einem Siedlungshäuschen in einer abgelegenen Vorstadtgegend, welches sich trotz seiner winzigen Proportionen |54| drei Parteien teilten. Stephan klingelte und stieg, ohne einen Gedanken an den durchdringenden Kohlgeruch zu wenden, der das enge Treppenhaus erfüllte, die leiterartig steile Treppe hinauf, klopfte an eine Tür, die mit vergilbter Farbe lackiert war, machte sie auf und ging in das Zimmer hinein.
Von ihrem Stuhl, der eine braune Linoleumsitzplatte hatte, erhob sich Agnes, die Kartoffeln schälte. »Ei, Herr Stephan«, sagte sie und legte das Messer hin. Stephan blieb stumm und sah sich teilnahmslos um. »Biste wieder da?« fragte Agnes und half ihm aus dem schwarzen Mantel mit dem Persianerkragen. Stephan setzte sich und griff unsicher nach einer Zeitung, die auf dem Tisch lag. Er hätte gern ein bißchen darin gelesen, aber er fühlte, daß er ein noch wichtigeres Bedürfnis hatte, dessen Befriedigung an erster Stelle stand. »Und?« fragte Agnes, die sich ebenfalls wieder gesetzt hatte. Stephan wußte, was das hieß, es war die Frage, die Agnes ihm gestellt hatte, wenn er als Kind mit Fieber im Bett lag und heiße Milch mit Honig und Rotwein, Ei und Zucker geschlagen aus einer Tasse zu trinken bekam. Es war die Frage nach seinem Gesundheitszustand, die er damals auch dann resignierend beantwortete, wenn es ihm eigentlich schon etwas besser ging. Er fühlte dann besonders die Sinnlosigkeit der Gesundung, denn wofür war sie gut? Die Welt veränderte sich nicht, wenn man weniger Temperatur hatte als siebenunddreißigeins.
Stephan sagte nach einer kleinen Pause: »Net so gut.« »Eieiei«, sagte Agnes und guckte aus dem Fenster. »Willste dich ein bißchen hinlegen?« – »Es wär, glaub ich, besser«, antwortete Stephan und begann seine Jacke auszuziehen, seine Krawatte aufzuknoten und die Schuhe abzulegen. Agnes ging an ihren Kleiderschrank, ein altes Wehrmachtsspind mit Luftlöchern in den Türen, und sagte: »Ich hab noch einen von deinen Schlafanzügen hier.« Stephan war nicht verwundert und nahm die Sachen zufrieden entgegen. Agnes drehte sich nicht um, als er sich auszog, sondern schälte weiter an ihren Kartoffeln oder ging zum Ausguß, und auch Stephan machte keine Umstände.
Als er im Bett lag und sich fest zugedeckt hatte, schickte er Agnes mit einem ganzen Bündel von Aufträgen hinunter zu dem |55| vor dem Häuschen wartenden Chauffeur und blieb so lange hochaufgerichtet im Bett sitzen, bis sie zurückgekommen war.
Nach einer weiteren Stunde war der Chauffeur wieder da, Agnes ging wieder nach unten, Stephan richtete sich wieder auf, sie trug drei schwere vollgepackte Pappkartons mit Kaffee und Orangen, Rotwein, Schokolade, Butter und Sekt die Treppen hinauf, was sie allein besorgen mußte, weil Stephan nicht wollte, daß ihn der Mann in Agnes’ Bett liegen sah. Dann war Agnes sehr beschäftigt mit dem Auspacken und Einräumen der guten Sachen, während Stephan sie fest zugedeckt vom Bett aus beobachtete.
Am Abend klingelte der Chauffeur erneut, nicht unerwartet, denn Stephan hatte
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