Das Bett
aufzusuchen, ist nicht mehr festzustellen.
Stephan Korn war schon vor dem Krieg ein Mensch mit gedämpften Stimmungen. Auch bei seinen komischsten Geschichten lächelte er nur sanft und beinahe verborgen, mit der abgeklärten Resignation eines alten Priesters, der eine frivole Geschichte in der Beichte erfährt. Obwohl er nie viel sprach, war sein Schweigen in den letzten Jahren nach dem Krieg auch Florence aufgefallen. Es hatte sich gleichsam vertieft. Auch sein Schlafbedürfnis war enorm gewachsen: Nach einem Diner, das ihn gegen seine Gewohnheit zwang, nach elf Uhr abends ins Bett zu gehen, mußte er ausschlafen, um zu irgend etwas in der Lage zu sein.
Stephans Vater war das recht. Er konnte ihn ohnehin nicht so recht in der Firma gebrauchen und hielt ihn für einen Luftikus, weil er sich in Frankreich herumgetrieben hatte. Wenn jemand eine solche Eigenschaft bei dem schläfrigen, schweigsamen und verlegenen Stephan für ein wenig unwahrscheinlich hielt, dann winkte der Vater Korn wissend mit der offenen Hand und gebrauchte Spruchweisheiten, in denen Zwangsläufigkeiten behauptet, aber nicht begründet wurden, wie die von den stillen Wassern, die angeblich immer tief gründen, als gebe es keine flachen Pfützen.
»Der Stephan weiß net, wie man das Geld verdient, aber er weiß, wie man es ausgibt«, fügte der Vater Korn dann noch hinzu und stellte damit eine weitere Behauptung auf, die jedenfalls aus seiner Sicht verwunderte, denn wenn Stephans erhebliche private Ausgaben auch ausschließlich seinen anspruchsvollen Gewohnheiten dienten, war doch unter diesen Gewohnheiten nicht eine, die nicht in denen des Vaters Korn ihre Entsprechung gefunden hätte. Im übrigen waren diese Urteile nicht tadelnd |52| gemeint: Der Vater Korn bewunderte Stephans müden Charme, der ihn in den Kreisen der amerikanischen Verwandten und Freunde viel selbstverständlicher erscheinen ließ als den noch in wilhelminischen Idealen erzogenen Willy. Stephan hatte eine Art und Weise, sich mit den Händen in den Hosentaschen auf den weißen Piqué-Sofas seiner Mutter herumzulümmeln, die in des Vaters Augen unerhört amerikanisch war – elegant, frei, jung, und er wäre erstaunt gewesen, wenn er erfahren hätte, daß Stephan lediglich seine abgenagten Fingernägel verbergen wollte.
Obwohl Stephan ohne eine Auszeichnung aus Frankreich zurückgekommen war, galt er in seiner Familie als Held. Sogar Florence war ihm entgegengekommen und hatte die sie geradezu anwidernden hellgrauen Wollsachen zu seiner Heimkehr an einer unauffälligen, beim zweiten Hinsehen aber leicht sichtbaren Stelle in seinem Schlafzimmer ausgelegt.
Damals war schon einmal eine Art von Schlafkrankheit ausgebrochen. Stephan war tagelang nicht aus seinem Zimmer gekommen. Nun, das hielt man noch für natürlich, der Junge hatte gerade den Zweiten Weltkrieg gewonnen und mußte sich ausschlafen. Nur von Zeit zu Zeit wurden hochgetürmte Tabletts mit Sandwiches und Weinflaschen in das verdunkelte Zimmer getragen, in das kein Sonnenstrahl fallen durfte, während draußen die Rasensprenger unablässig jedes der zentimeterkurzen Grashälmchen mit kleinen Tautropfen benetzten. Die Erholungszeit dauerte dann doch ziemlich lange, und vor allem Stephans Liebe zur Dunkelheit stimmte Florence in dem Maß bedenklich, in dem nach menschlichem Ermessen Stephan als nun wirklich rundherum ausgeschlafen gelten mußte.
Wie immer, wenn ihr etwas nicht paßte, nahm sie die Sache in die Hand. Nachdem sie Stephan mehrfach aufgefordert hatte, sein Zimmer wenigstens zu den Mahlzeiten zu verlassen, und ein andermal, sie zu Einkäufen in Midtown Manhattan zu begleiten, und immer nur kaum wahrnehmbare Grummellaute aus dem Dunkel als Antwort erhielt, knipste sie eines Tages das Licht an, wünschte aber im selben Augenblick, das lieber nicht getan zu |53| haben: Sie erschrak vor Stephans Gesicht, das ihr maulwurfshaft entgegenblinzelte und seit Tagen unrasiert war. Das war ein Anblick für Leute, die dafür bezahlt wurden, für Ärzte beispielsweise oder für den netten Dr. Tiroler in der Nachbarvilla, der bei ihrer endgültigen Übersiedlung nach Amerika auch Stephans Intelligenzquotienten festgestellt hatte.
Sie knipste deshalb das Licht sofort wieder aus und veranlaßte das Notwendige. Dr. Tiroler kam herüber und machte sie in ihrem Salon bei einer Tasse Tee mit seiner Schock-Theorie vertraut, und sie spürte angesichts seiner ernsten Redeweise eine tiefe Beruhigung, die sie auch daran hinderte,
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