Das Bett
setzen. Eher hätte er auf die Dauer einen Aal festhalten können. Im Nu war es Aimée gelungen, sich unter seinem Körper hindurchzuwinden, seinen rechten Arm zu packen und ihn auf den Rücken zu drehen. Stephan schrie unwillkürlich auf, aber zugleich schämte er sich seiner Schmerzensäußerung, und er konnte von Glück sagen, daß sein Gesicht schon dunkelrot angelaufen war von den Anstrengungen des Ringkampfes, sonst hätte die indianische Aimée ihn erröten sehen.
Stephans Kopf war in den Kissen vergraben. Er rührte sich nicht und wartete einfach ab. Er hätte auch beim besten Willen jetzt nichts zu sagen gewußt. Das war keine lustige Rauferei; das war auch nicht die Einleitung eines zärtlichen Tobens. Es war etwas Erbarmungsloses im Spiel gewesen, böse Launen hatten sie beide überwältigt, eigentlich war der ganze Vorfall unendlich peinlich. War es nicht wirklich soweit gekommen, daß er Aimée hatte schlagen wollen? Sie hatte ihn gereizt und Rücksicht und |432| Schonung, wie sie im allgemeinen ein junges Mädchen, das sich in die Hände eines älteren Mannes begibt, erwarten darf, nicht mehr verdient. Und dennoch hatte er bei seiner Gewalttätigkeit, die so kläglich gescheitert war, allzuviel Spaß empfunden, als daß er sie ohne Verlegenheit hätte betrachten können. Seit er Aimée kannte, war er immer neue Stufen der Verwirrung hinaufgeschritten. Dies war der Höhepunkt bisher, der strahlende Attaché Stephan hatte selten so kläglich ausgesehen.
Auf einmal spürte Stephan in seiner Bewegungslosigkeit, daß Aimée sich an ihn schmiegte, ihre erstaunlich kühl gebliebene Nase in seine blaurasierte Wange drückte und ihm Worte ins Ohr flüsterte. Er verstand nicht, was sie sagte, sondern spürte nur den beruhigenden Tonfall ihres Singsangs. Es war ihm, als spreche sie mit ihrem Hund, der, obwohl das von den Eltern streng verboten war, im Schein des Vollmondes plötzlich vom Bettvorleger zu ihr ins warme Bett gesprungen war und dem sie nun sanfte Wörter zuraunte, um ihn wieder zum Schlafen zu bringen, indes das Tier hechelnd in die Dunkelheit starrte.
»Mein kleiner Rabe«, flüsterte Aimée, »du komischer kleiner Kerl, du bist ja wütend, kleiner Rabe mit den schwarzen Federchen.« Stephan drehte den Kopf, der bisher im Kissen vergraben war, was ihm allmählich Atembeschwerden bereitete, so daß er Aimée genau ins Gesicht sah. Ihre Nasenspitzen berührten sich, ihr Atem vermischte sich und die Augen des anderen verschmolzen zu einem einzigen Auge, das seinen Platz in der Nasenwurzel hatte und zyklopisch-starr auf das ihm gegenüberliegende einzelne Auge gerichtet war, als ob eine gläserne Röhre von Stirn zu Stirn führe, die an den beiden Enden mit je einer blauen und einer braunen Augenglaskugel verschlossen worden sei.
Aimée hatte sich den hingebungsvollen Eifer in allen Verrichtungen der Liebe bewahrt, der das Zeichen der Unschuld ist, gleich, ob diese Unschuld bisher bewahrt wurde, weil sie sich keiner Gefährdung aussetzte, oder ob, wie bei Aimée, auch die angelegentlichste Erfahrung nicht imstande gewesen war, ihren Panzer auf Dauer zu brechen, weil er sich beständig erneuerte, |433| wie die Haut, die schon Tage später nicht mehr die gleiche ist wie diejenige, die man herzklopfend berühren wollte. Als Aimée sich deshalb zum Kuß vorbereitete, verfuhr sie wie ein Kind, das zum erstenmal ins Wasser springen soll und das voller Mut und Zutrauen zu seinem Lehrer die Haltung annimmt, die ihm befohlen worden ist. Es war diese Mischung aus Bereitwilligkeit, alles, was zu einem Kuß gehört, mitzuvollziehen, und der Unkenntnis, worum es sich bei einem Kuß eigentlich ganz genau handelte, die Stephan in ihrem Gesicht las, als sie ihre Lippen weniger spitzte, als sie ihm vielmehr entgegenzuwölben, wobei diese Unkenntnis im wesentlichen doch das Ergebnis der Fähigkeit Aimées war, zu vergessen und sich selbst Tag für Tag neu auf die Welt zu bringen. Stephan hätte seiner Schüchternheit, wie sie ihn nach diesem Tag und sehr viel mehr noch nach diesen Minuten beherrschte, auf Knien danken müssen. Es war seine Passivität, seine Mutlosigkeit, die diesen Kuß beschleunigt hatte. Er hatte Aimée gerührt, ohne es darauf angelegt zu haben. Die Rollen waren vertauscht, denn die Hilfsbedürftige gewährte Geschenke, und der Mächtige wagte nicht, das Haupt zu heben, um sie anzunehmen.
Als Stephan Aimée auf seinem Bett in seinem behaglich erleuchteten Hotelzimmer küßte, nahm er ihre Taille
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