Das Bett
Schlafbedürfnis nach dem Essen und stellte überhaupt denkbar geringe Anforderungen an die Programmgestaltung eines Tages: Essen, Schwimmen und Schlafen waren ihr genug, nicht ein einziges Mal sprach sie mit Stephan über die Zukunft, weder über ihre eigene noch über die Europas. Das warme Paradies des vegetativen Glücks hatte alle Unruhe in ihr zum Schweigen gebracht.
Nur heute wurde den beiden die Erfüllung ihres letzten Wunsches schwer, denn als Stephan das Wäldchen erreichte, mußten sie entdecken, daß es abgebrannt war. Ihre Hoffnung, daß vielleicht nur die Ränder des Waldstücks gebrannt hatten, wurde immer geringer, je weiter sie in das mit Steineichen in luftigem Abstand bewachsene Gelände hineinfuhren: Alle Bäume waren |436| rabenschwarz verkohlt, die knorrigen Formen der Äste, die in die blaue Sommerluft ragten, wirkten verdreht wie die Arme von Menschen, die in den Flammen sterbend, halb aus Verzweiflung, halb schon im Spasmus des Todeskampfes ihre Fäuste zum Himmel recken. Kein Laut war hier zu hören. Soweit sie sich umblickten, sahen sie nichts als die toten Bäume, als hätte ein böser Zauberer Besitz von dem ganzen Land ergriffen und alles Leben mit einer schrecklichen Formel daraus verbannt. Es roch gut in dem abgebrannten Wäldchen, Holzfeueraroma lag in der Luft, auch ätherische Öle waren durch die Hitze aus den Pflanzen herausgekocht worden und gaben der schweren, brandigen Atmosphäre ein fast stechendes Gewürz. Aimée und Stephan brauchten Zeit, bis sie sich von dem Anblick lösen konnten. Dann setzten sie sich wieder ins Auto und fuhren zurück, ohne ein Wort zu sagen; sie hätten vielleicht auch gar nicht gewußt, warum sie der abgebrannte Wald zum Schweigen gebracht hatte.
Erst viel später sagte Aimée: »Jetzt erzähl mir doch noch einmal von dem Kerl, den du heute morgen gesprochen hast, dem mageren, der so lustig aussah. Der hat mir gut gefallen.«
»Mir hat der grad noch gefehlt«, sagte Stephan, »das war der ewige Klassenkamerad!«
»Das war dein Klassenkamerad?« fragte Aimée.
»Du hast mich net verstanden«, sagte Stephan, »kennst du das net, daß du irgendwo hinkommst, wo du denkst, daß dich hier wirklich niemand kennt, und dann haut dich plötzlich ein Kerl, den du nie gesehen hast, auf die Schulter, duzt dich und hat mit dir auf derselben Bank Latein gelernt, und du weißt nur noch, daß er wahrscheinlich nicht der Rudi war, denn der hatte rote Haare – und so.«
Aimée war unzugänglich. »Nein, das kenne ich nicht. War das jetzt dein Klassenkamerad oder nicht, der Kleine mit dem niedlichen Fuchsgesicht?«
Stephan fühlte, wie in ihm ein vorher unbekanntes Gefühl wuchs. Dr. Frey wurde ihm womöglich noch unsympathischer, als er es während seines aufdringlichen Versuchs, ins Gespräch zu kommen, gewesen war. Er fragte sich, was man denn um Gottes |437| willen an diesem verkommenen Gesellen niedlich finden konnte, wobei er die Bezeichnung »Fuchsgesicht« noch angehen ließ, obwohl ihm andere Tiervergleiche noch nähergelegen hätten. Stephan erfand das »Schakalschafsgesicht«, das »Hühnerwieselgesicht«, das »Hyänenotterngesicht«, was er Aimée nicht mitteilte, weil er herausbekommen hatte, daß sie mit seiner Phantasie nichts anfangen konnte, sie würde nur leicht gereizt feststellen: »Hyänenottern gibt es nicht.« Statt dessen gab er gelangweilt das Gespräch mit Frey wieder, immer in der Hoffnung, daß Aimée bald die Neugier darauf verlieren würde, die aber, wenn er verstummte, nachhakte und: »weiter« sagte, unnachgiebig wie ein Feldwebel, der schon weiß, daß der angeblich fußkranke Rekrut in Wahrheit nur faul und störrisch ist.
»Ich weiß nicht, was er von mir wollte«, sagte Stephan zum Schluß. »Wollte er Geld, wollte er von mir nach Spanien gebracht werden, wollte er, daß ich ihm sage, wen er heiraten soll? Vielleicht war das auch ein Agent provocateur, oder er wollte ein Schwätzchen halten über Frankfurt.« Bei der letzten Bemerkung war Stephan nicht ganz wohl. Sie war seiner Gereiztheit zuzuschreiben, weil Aimée sich dermaßen anhaltend mit seiner Straßenbekanntschaft beschäftigte. So ist es recht, sagte Stephan ärgerlich zu sich selbst, soweit bringt sie dich. Das kann noch heiter werden. Und Aimée sagte ohne besonderen Nachdruck, mit einem nachlässigen Lächeln: »Wie gut, daß Dr. Frey kein Mädchen ist, dann bekäme ich ja beinahe Angst.«
»Wieso Angst?« fragte Stephan sofort, indem eine unruhige Ahnung in
Weitere Kostenlose Bücher