Das Bett
ihm suchen und schätzen könne. Je länger er über die Frauen nachdachte, desto unsicherer wurde er, überhaupt etwas Gewisses über dies Geschlecht in Erfahrung gebracht zu haben. Daß Frauen eben anders als Männer waren, erschien ihm als ein allzu dürftiges Ergebnis seiner tiefsinnigen Grübeleien.
Ein Gran Enttäuschung war in die Gefühle gemischt, die Stephan empfand, wenn er sich vorstellte, wie plötzlich Aimée sich geändert hatte. Er war immer noch ein wenig der Romantiker, den die Literatur in ihrem Personal fordert. Er wünschte nicht, daß der durchsichtige Schleier der Täuschungen und Lügen in einem zu frühen Stadium zerrissen werde, und nahm Aimée beinahe übel, daß sie die Entwicklung der Angelegenheit so roh in ihre Hand genommen hatte, denn wenn er auch nicht glaubte, jemals eine einzige Frau wirklich erobert zu haben, und sich niemals in Träumen von seinem unbezwingbaren Charme wiegte, hatten die Frauen bisher doch meistens Taktgefühl bewiesen und ihm die Gelegenheit zu einem kurzen Theaterstückchen gegeben, wenn sich erst einmal herausgestellt hatte, daß er sich ihren Wünschen prinzipiell geneigt zeigen werde. Stephan empfand diese Komödie als das wichtigste Zeichen dessen, was er als eine »anständige« Frau bezeichnete. Er forderte diesen Funken Selbstachtung, |426| den er in solch einer Inszenierung zu entdecken glaubte, denn sie schien ihm zu gewährleisten, daß diese Frau auch später auf die Dehors zu achten gesonnen sei, und das wiederum war die beste Garantie dafür, daß später fällige Krisen überschaubar und berechenbar blieben.
Aimée hatte ihn hingegen während des ganzen Tages durch eine Reihe einander widersprechender Verhaltensweisen gründlich verwirrt. Es war gewiß, daß es ihm jedenfalls unmöglich sein würde, so etwas wie Vorhersehbarkeit in der Abfolge ihrer Handlungen zu entdecken. Er dachte noch daran, wie sie im Restaurant den halben gelbblättrigen Kopfsalat, über den der Kellner einen großen Löffel Vinaigrette gegossen hatte, zerteilte: Sie schnitt sehr appetitliche Bissen aus dem Blattkörper heraus, ihre Operation hatte Ökonomie und Routine; allenfalls die Entschiedenheit, mit der sie die nur geringen Widerstand leistenden schwachen Blätter behandelte, ließ ein wenig Proportionsgefühl vermissen oder auch eine Neigung zu herrischem Verhalten ahnen.
Bedenklicher fand Stephan noch die Art, mit der sie über Bonnetti sprach, als hätte sie Anlaß, ihn zu verachten. Er selbst hatte das schleppende Gespräch auf Bonnetti gebracht. Unbeholfen, indem er mehr Teilnahme verriet, als er vorhatte, fragte er Aimée noch einmal nach der Art ihrer Verbindung zu dem Maler. Aimée wußte ebensowenig von den Künstlern wie von den Juden, weil es beides in Ubbia, wenigstens für die Augen der Baronesse sichtbar, nicht gegeben hatte. Sie hatte eigentlich nicht den geringsten Grund, Bonnetti wegen irgend etwas böse zu sein: Der Mann kannte sie nicht und hatte nicht den geringsten Anlaß, ihr zu helfen, er hätte vielmehr sogar allen Grund gehabt, mißtrauisch zu sein. Außerdem hatte sie von Anfang an gespürt, daß Bonnetti selbst in einer Notlage war. Er war doch freundlich gewesen, und sie hatte Stephan dort kennengelernt. Wenn Aimée nun sagte: »Ach, der mit seinem gräßlichen Kerl« und damit auf Boris anspielte, der Bonnetti in den Tagen des besetzten Paris viele Sorgen bereitete, dann wollte sie eigentlich niemanden wirklich herabsetzen. Abfällig über andere, eigentlich |427| alle Menschen zu sprechen war eine kindliche Angewohnheit, ein Brauch, den sie im Internat angenommen hatte, wo ihre Mitschülerinnen mit Ausdrücken des äußersten Entzückens inflationären Gebrauch trieben. Dort war alles »wonnig«, »herzig«, »geliebt« und »niedlich« gewesen, und ebenso wie Aimée dort eine elitäre Hinwendung zu den Toccaten Bachs aus dem einzigen Grunde zur Schau stellte, weil diese Musik für die anderen Mädchen der Gipfel der Langeweile und der Pein bedeutete, begann sie, kalt und abschätzig über all das zu sprechen, was anderen Leuten aus irgendeinem Grunde des Respekts und der Verehrung wert erschien.
Stephan wagte keinen Widerspruch. Er wollte Aimée um keinen Preis mißfallen. Er hatte während der Unterhaltung auch kaum Gelegenheit, sich über einzelne ihrer Äußerungen Gedanken zu machen, obwohl er nur einsilbig zu antworten vermochte und bedrückt wirkte, so daß Aimée eine Zeitlang glaubte, er habe den Kopf voll mit dem schlimmsten
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