Das Bett
ihm aufstieg. »Der Frey und ich sind doch in der gleichen Lage«, sagte Aimée heiter. »Er muß heiraten, um nicht nach Deutschland verschleppt zu werden, und ich muß heiraten, um mit dir gehen zu können, wenn du dich nach Spanien davonmachst, demnächst. Ohne Paß und allein wird’s nämlich hier auch für mich nicht sehr komisch.«
Stephan wäre bei diesen Worten beinahe in den Straßengraben gefahren. Er sammelte sich jedoch sofort wieder, denn er war seit Wochen auf diesen Augenblick vorbereitet. Er wußte, daß er eintreten würde, je mehr das Vertrauen zwischen ihnen wuchs |438| und je länger die absurde Situation andauerte, daß die Amerikaner auch nach der Besetzung Vichy-Frankreichs dort eine diplomatische Vertretung unterhielten. Jeden Tag konnte Stephans Lage sich umkehren. Er wäre dann nicht mehr Besitzer eines privilegierten Passes, sondern feindlicher Ausländer, und obwohl ihm diese Aussicht keine Sorgen machte, weil ihm sicher immer noch genügend Zeit bliebe, um nach Spanien zu entkommen, lag es doch nahe, daß Aimée sich darum kümmerte, was mit ihr geschehe, wenn ihr Beschützer nicht mehr da sei. Es war ein beunruhigendes Gefühl für ihn, sich darüber klarzuwerden, daß sie die ganze Zeit daran gedacht hatte, wie sie gemeinsam mit ihm über die spanische Grenze entkommen konnte; daß die Tage der Sorglosigkeit in Wahrheit von ihren rastlosen Überlegungen begleitet waren, wie sie sich durch ihn und mit ihm aus dem deutschbesetzten Gebiet retten könnte. Stephan fühlte sich in die Gemeinschaft der Verfolgten gezogen, gegen die er sich stets mit Händen und Füßen gewehrt hatte. In seiner nächsten Nähe, im Gehirn dieses schönen Mädchens, wurden die Berechnungen derer angestellt, die um ihre Haut kämpfen müssen und zu denen Stephan nun einmal nicht gehören wollte.
Aimée hatte ihren Fluchtplan die ganze Zeit über betrieben. Sie war, während er sie in der Badewanne wähnte, sogar einmal beim Unterpräfekten gewesen und hatte erfahren, daß dieser Mann, dem sie sichtlich gefiel, zu seinem größten Bedauern glaubte, keine Papiere mehr ausstellen zu können, weil man auf ihn aufmerksam werde. Etwas ganz anderes sei es, wenn es sich nur um einen vorläufigen Ausweis handele, der das Übertreten der Grenze in Verbindung mit einem anderen, eindrucksvolleren Dokument gewiß erleichtern würde. Der Unterpräfekt druckste etwas herum, als er sah, daß sie ihn nicht verstand, und sagte dann: »Wenn Sie Ihren amerikanischen Begleiter zum Beispiel heirateten, dann könnte ich über die Hochzeit eine Urkunde ausstellen, die auf irgendeinen Paß Bezug nimmt, und für diesen verlorengegangenen Paß ein Ersatzpapier anfertigen – das sind Gedankenspiele, die Sie vielleicht mit Ihrem Herrn Begleiter einmal an einem dieser langen warmen Abende zu Ende spielen |439| könnten, wenn ich Ihnen, verehrtes Fräulein von Leven, eine kleine Anregung geben darf.«
Aimée hatte nicht fürchten müssen, den Beamten belästigt zu haben. Er war in den Grauzonen der Legalität zu Hause. Er genoß die Erfindung gewagter Konstruktionen, und er rechnete sich bei einem Fall, an dem eine Blondine und ein Amerikaner beteiligt waren, dazu noch eine Erkenntlichkeit aus, wenn er zur Lösung der Schwierigkeiten durch konziliantes Verhalten etwas beitrüge, wozu er fest entschlossen war.
Aimée zeigte ihren Stolz über das Ergebnis des Gesprächs. »Er würde uns auch ohne meine Papiere verheiraten. Ist das nicht unglaublich? Und dann nichts wie weg hier. Ich finde Narbonne allmählich auch langweilig, obwohl du mich immer so schön herumfährst. Jetzt sag mal, wie großartig du mich findest. Ich weiß ja, wie gräßlich es dir ist, dich um die Organisation kümmern zu müssen. Ich glaube, die Frauen können das besser als ihr.«
Es sah so aus, als füge Stephan sich zunächst in sein Schicksal. Er fühlte, daß nun ein Punkt erreicht war, der alles in seinem Leben veränderte, aber er wehrte sich nicht, denn er glaubte, daß die Entwicklung, so wie alles gelaufen sei, eine »gewisse Zwangsläufigkeit« enthalte. Er hatte Aimée schließlich nicht ohne Grund über die Demarkationslinie gebracht, er konnte sie nun hier nicht hängenlassen, während er sich selbst bequem in Sicherheit brachte, und zwar bevor für ihn das Spiel überhaupt gefährlich zu werden begann. Es war eigentlich wie in den gesegneten Zeiten, als Agnes ihm seine Ärmchen in die Luft gehoben, Hemdchen darübergestreift hatte, mit dem Waschlappen
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