Das Bett
gewütet. Stephans Koffer waren einfach ausgekippt worden, der Inhalt lag in Haufen auf dem Boden. In dem hohen blankpolierten Messingbett, dessen Polster an den Rand geschoben worden waren, thronte Aimée in türkischer Manier und bis zur Unkenntlichkeit vermummt. Ihr war kühl gewesen. Sie hatte in ihrer ungenierten Suche nach etwas Warmem in Stephans Gepäck Agnes’ Stricksachen gefunden und sich damit ausstaffiert. Nun trug sie einen dieser Stephan stets als besonders scheußlich erscheinenden Pullover aus jener filzig grauen Wolle wie von einer alten stinkenden Militärdecke, einer Wolle, die Agnes ausschließlich benutzte und aus der sie auch die Fäustlinge, den dicken Schal, die Pudelmütze und den Nierenwärmer hergestellt hatte, die Stephans Pietät wie Reliquien hütete und stets in greifbarer Nähe hielt. Selbst auf die kurze Reise nach Paris nahm Stephan diese Erinnerungen an eine einzigartige Beziehung mit, obwohl sie im Koffer viel Platz wegnahmen, weil er sich besser fühlte, wenn etwas von Agnes in seiner Nähe war. Und nun hatte diese junge Wilde alles, was Stephan aus Agnes’ Händen mit auf die Reise |430| genommen hatte, herausgewühlt und sich über den Körper gezogen, bis fast nichts mehr von ihr zu sehen war.
Natürlich war das Durchstöbern von fremden Koffern eine Unverschämtheit, aber das war es nicht, was Stephan so verblüffte. Aimée hatte schon richtig gerechnet, wenn sie Stephan nun, nachdem ihre Bekanntschaft Fortschritte erzielt hatte, mit einer kräftigen Überraschung richtig durchschüttelte. Hatte sie auf ihrer Suche in seinen Koffern erkannt, daß Agnes’ Geschenke Fremdkörper in der Garderobe Stephans waren? Sie selbst fand die gestrickten Sachen übrigens nicht so schlimm wie Stephan. Sie war ein Landkind, und solche grobe graue Wolle war ihr durchaus nicht nur bei den Landarbeitern wohlvertraut, auch an sich selbst, vor allem im Winter auf den Schulwegen in dem zugigen, altersschwachen Pferdeschlitten. »Hier herrscht eine Affenkälte, und wenn ich schlafen soll, muß ich warmhaben«, sagte sie, während Stephan schweigend sein Herzklopfen zu überwinden versuchte, und lachte unter der bis zu den Augen herabgezogenen Pudelmütze wie ein Troll aus den nördlichen Schluchten.
Es war gerade diese Mütze, die das Bild, das Stephan erblickte, grotesk machte. Stephans Hotel lag am Seinequai. Es war klein, aber es hatte alles, was nach Stephans Begriffen zu einer eleganten Unterkunft gehörte, die pastellfarbenen Smyrnateppiche auf dem dunkel gebohnerten Parkett, die Louis-seize-Sesselchen in Gris-de-Versailles, Marmorkamine, gestreifte Tapeten in Stuckrahmen, kristallene Wandleuchter und sorgfältig in Falten gelegte, auf dem Boden schleppende Vorhänge. Zu Stephans besonderem Entzücken gab es keine Bilder an den Wänden seines Zimmers, sondern außer dem obligaten Kaminspiegel nur noch ein prunkvolles Barometer im Geschmack der Régence.
Stephan liebte dieses Zimmer. Um so wütender machte ihn nun der Anblick dieses Waldschrats, der in seinem Reich nach eigenem Gutdünken schaltete und mit hellsichtiger Tücke hervorgezerrt hatte, was Stephan gewöhnlich verbarg. Es kümmerte ihn dabei nicht groß, was andere über das graue Zeug denken mochten. Er selbst wollte nicht sehen, was auf dem Boden seines |431| Koffers lag. Agnes’ Macht erwies sich gerade dann als beständig, wenn man nicht an sie dachte. Sie wollte nicht berührt werden, man mußte sie im stillen wirken lassen, versteckt unter den austauschbaren Requisiten des täglichen Lebens.
»Was gibt’s denn da zu lachen?« sagte Stephan mit zusammengepreßten Zähnen. Aimée kam ihm auf einmal unsagbar fremd vor, mit unheimlichen Spuren, an die er sich noch erinnerte, die jedoch in einen erschreckenden neuen Zusammenhang gerückt waren. Aimée warf sich indessen mit dem Übermut eines jungen Hundes auf dem Bett hin und her. Stephan sah Streifen ihrer leicht brünetten Haut zwischen der grauen Wolle aufblitzen. Sie war nackt darunter.
»Das scheußliche Zeug«, jauchzte sie. Stephan spürte plötzlich das Anwachsen einer lustigen Brutalität und stürzte sich auf sie. Es entstand eine Rauferei. Aimée verteidigte sich mit einer Wendigkeit und Kraft, die Stephan sehr schnell entwaffnet hätte, wenn nicht der heftige Wille in ihm gewesen wäre, Aimée die Sachen vom Leibe zu reißen und ihr dabei weh zu tun. Aimée biß und boxte, Stephan versuchte, ihre Handgelenke festzuhalten und sein Knie zwischen ihre Brüste zu
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