Das Bett
in beide Hände und spürte zum erstenmal ihren Körper, denn Agnes’ Pullover war hochgerutscht. Der Wanderung seiner Hände wurde indes ein rasches Ende bereitet, denn Aimée entwand sich, ohne dabei prüde oder abweisend zu wirken, genauso, wie sie sich auf dem Sofa Bonnettis bewegt hatte, als ob es ihr lediglich darauf ankomme, eine bequemere Stellung zu finden.
Stephan und Aimée begannen zu sprechen. Sie erzählten sich wie alle Liebespaare, wer den anderen zuerst gesehen, was man sich beim Anblick des anderen gedacht habe, wie schrecklich die Zeit der Ungewißheit gewesen sei, in der man noch nicht habe ahnen können, ob der andere die eigene Empfindung erwidern werde. Eine besondere Art von Prahlerei gehört zu diesen ersten Gesprächen, das Prunken mit den Wunden, das eitle Vorweisen des Herzens, das sich rühmen kann, den Blitzschlag als |434| erstes empfangen zu haben, als ob das, wofern es wirklich ein Blitzschlag war, ein Verdienst sei. Und in dem zärtlichen Streit, wer mehr gelitten und früher zu begehren begonnen habe, malt sich schon die Silhouette der späteren Auseinandersetzungen, in denen es um Stärke und Schwäche, um Macht und um die guten Gründe, einander wieder zu verlassen, gehen wird.
Stephan und Aimée lagen sich in den Armen und atmeten einer den Atem des anderen, als sie schließlich einschliefen. Zu einem Vorgang, von dem Willy gesagt hätte: »Ich habe sie zu meiner Geliebten gemacht«, war es nicht gekommen. Aimée hatte beiläufig und gar nicht zimperlich darüber gesprochen und gesagt: »Ich habe nichts dagegen, wenn es sein muß. Aber jetzt muß es noch nicht sein. Das findest du ja auch. Wir merken schon, wann es sein muß, wart nur ab. Heut abend jedenfalls nicht.«
Stephan hatte den Plan, nach dem reichhaltigen Mittagessen in einem Wäldchen, an das er sich noch gut erinnerte, einen Mittags- und Verdauungsschlaf zu halten. Seit seinem Zusammenleben mit Aimée hatte er seine Eßgewohnheiten vollständig verändern müssen. Aimée hatte immer Hunger, ruhelos wie ein Wolf hielt sie Ausschau nach Nahrung, die Unsicherheit ihrer Lage schien ihren Instinkt auf das Nächstliegende gerichtet zu haben, denn wohlgenährt waren die allseitig lauernden Gefahren eher zu bestehen. Dazu noch war sie in einem Alter, in dem die Form des Körpers und die Menge der aufgenommenen Nahrungsmittel nicht miteinander in Verbindung stehen. »Ich fresse wie ein Dorfarmer«, sagte sie mit selbstzufriedenem Ausdruck, indem sie an die Armen dachte, die in der Leuteküche von Ubbia ein freies Essen erhielten. Und dennoch blieb sie das schlanke junge Mädchen mit der auffallend engen Taille.
Stephan hingegen steckte bezüglich des Essens voller Hypochondrien, seine Phantasie war beständig damit beschäftigt, was alles ihm nicht bekommen könnte. War nicht alles, was man üblicherweise angeboten bekam, zu schwer, zu fett, zu schwierig zu verdauen, jedenfalls von dem Augenblick an, wenn man anfing darüber nachzudenken? Er hatte oft die Vorstellung, daß er erst |435| dann eine wirklich sinnvolle Tätigkeit beginnen könne, wenn ihm klar sei, wie er sich zu ernähren habe. Es war ihm ein beständiges Rätsel, wie ein Mensch nach Einnahme eines normal komponierten Mittagsmahls noch zu einem einzigen Handschlag fähig sein könne. Auf Stephan wirkte ein Essen wie der Bolzenschlag, der das Schlachtschwein noch nicht getötet, aber in tiefe Ohnmacht versetzt hat. Seine Träume malten ihm die zartesten Substanzen aus, die lebensspendend und kräftigend zugleich seien, getrocknete, federleichte Blätter von der Form des Lorbeers etwa, die einen milden Geschmack nach Meersalz besaßen und sich auf der Zunge, sowie sie mit dem Speichel in Berührung kamen, von selbst auflösten, wahrhaft spirituelle Speisen. Wo mochte es so etwas wohl geben? In der Provence gewiß nicht, hier bekamen die beiden für Stephans Dollars immer wieder die deftigsten, scharf gewürzten Töpfe auf den Tisch gestellt, deren Inhalt damals ohne weiteres eine Familie gesättigt hätte, der aber für Aimée und ihn gerade reichte, wenn sie vom Schwimmen kamen oder den Tag unter einem Baum liegend vertan hatten. Stephan merkte schnell, daß er sich in Aimées Gesellschaft nicht heikel zeigen durfte, denn ihr Spott in diesen Dingen war so rücksichtslos wie der einer Internatsschülerin, die über die verzärtelten Angewohnheiten einer Neuen herfiel. Er aß also tapfer, was auch Aimée aß, und er wurde dafür belohnt, denn Aimée teilte sein
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