Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
Ärger und sei eigentlich nicht imstande, ihrer Konversation zu folgen. Sie fragte sich sogar, ob es klug gewesen sei, die von Bonnetti virtuos vermittelte Mittagessenseinladung so schnell und umstandslos angenommen zu haben und sich nicht noch ein bißchen länger nötigen zu lassen. Während dieser Zweifel offenbarte sie Stephan zum erstenmal ihre letzte und wichtigste Waffe, die vielmehr in das Gebiet der außergewöhnlichen Naturerscheinungen, wie das Nordlicht, das Meeresleuchten und der Kometenschweif, gehörte, deren Wirkung sie im übrigen im Laufe der Jahre entdeckt hatte und mit der sie seitdem planvoller umging als zuvor, ihr Lächeln nämlich, das ihr Gesicht vollständig veränderte und Stephan den letzten Halt nahm.
    Die wilden Tiere brauchen nur das Weiß eines rollenden Augenballes zu erblicken, und die Hormone, die sie zur Kräftigung ihrer Angriffslust benötigen, ergießen sich in ihre Adern und versetzen sie in Raserei. Es war, als ob Aimées Lächeln, auf eine weniger erforschte Weise freilich, eine ähnliche unwillkürliche Wirkung in den Seelen derjenigen hervorrief, die es sahen. Stephan verfiel zwar nicht in Raserei, aber er spürte die Kraft einer |428| Verzauberung, solange Aimée lächelte und ihn dabei mit blitzenden Augen ansah. Aimée lächelte niemals über eine witzige Bemerkung, sie lächelte nicht über eine ihr erwiesene Höflichkeit und nicht aus Spott. Sie dankte auch nicht mit einem Lächeln. Das Lächeln trat grundlos auf ihr Gesicht, das vorher teilnahmslos, launisch, streng, gereizt oder neugierig ausgesehen hatte. Es war beinahe wie eine Maske, die sie unversehens vorhielt, oder besser, die auf einmal vom Himmel herab über sie geworfen wurde und alles, was sie ansah, verschönte und in Bann schlug. Die alte Astrologie, der diese Erscheinung offenbar vertrauter war, als sie es uns heute ist, muß von einem Lächeln wie dem Aimées gesprochen haben, wenn sie das »Lächeln der Venus« beschrieb, eine Gabe, die ihren Beobachtungen zufolge den im Machtbereich dieses Planeten Geborenen häufig zu eigen sei.
    Stephan fragte indes nicht nach Aimées Geburtsdatum. Er hätte auch mit der astrologischen Erklärung nicht viel anzufangen gewußt, denn er stand dermaßen unter dem Eindruck dessen, was er sah, daß er für eine Analyse der Ursache und ihrer Wirkung auf ihn nicht zu gewinnen gewesen wäre.
    Aimée lächelte in der geschilderten Weise an diesem Nachmittag ihres Kennenlernens dreimal, einmal länger, zweimal nur so kurz wie das Blinken eines unendlich weit von der Erde leuchtenden Sterns. Die Lähmung der Unterhaltung, die jedesmal eintrat, die Verwirrung Stephans, die noch dadurch stieg, daß sie sofort nach dem Lächeln etwas Alltägliches oder auch Bissiges sagte, dem er in seiner viel unbeweglicheren Stimmung nichts entgegenzusetzen hatte, nahm sie ohne Sorge hin. Ihr kam es ohnehin nicht auf den Glanz seiner Unterhaltung an, sondern auf seine Gegenwart und auf die Anzeichen seines Verhaltens, die darauf hindeuteten, daß er ihr würde folgen wollen, wie sie sich ausdrückte, obwohl es in der Realität zunächst darauf würde ankommen müssen, daß er ihr gestatten würde, ihm zu folgen.
    Stephan stand noch eine Weile vor der Tür seines Hotelzimmers und fixierte die Messingzahlen, als seien sie die Nummer des Loses, das er gekauft hatte. Daß nun vollkommen feststand, was sich ereignen würde, gab ihm den Wunsch ein, vorher noch |429| einmal ganz schnell das Hotel zu verlassen und im Stehen etwas zu trinken, weniger um seine Nervosität zu beruhigen, als um zu genießen, daß Aimée jetzt, wo alles abgemacht war, auch noch ein halbes Stündchen warten würde, zumal sie ja schwerlich woanders hinzugehen wußte und gerade ihr der Aufenthalt auf der Straße nach der Sperrstunde nicht ratsam erscheinen konnte. Zum anderen wußte er, daß die Situation nun Taten von ihm verlangte, auf die er sich natürlich freute, in die er aber lieber hineingeschliddert wäre, als sie quasi auf Befehl ohne Wenn und Aber zu vollbringen. Schließlich drehte er den Knopf der Tür, gab sich einen Ruck und ging hinein.
    Sein Zimmer war hell erleuchtet. Er machte die Tür schnell hinter sich zu, damit niemand zu sehen bekomme, was seine ungläubigen Augen sehen mußten. Er lehnte sich an die geschlossene Tür und hielt die Klinke mit beiden Händen auf dem Rücken fest umklammert, als könne aus dem kühlen Metall Kraft und Ruhe aufsteigen.
    Das Zimmer sah aus, als hätten die Räuber darin

Weitere Kostenlose Bücher