Das Bett
während völlig geräuschlos Aimée neben ihm schlief. Sie muß nicht einmal atmen, dachte er, und es war ihm, als ob alles, was er nun an Aimée entdeckte, zu ihrem Nachteil ausschlug.
Stephan saß wieder im Doppeldecker, die Luftmassen schossen ihm durch seine beiden Nasenlöcher in die Lungen und bliesen sie wie Ballons auf. Er genoß den scharfen Druck der ledernen |442| Fliegerkappe um seine Stirn, als halte sie sein zum Zerfließen neigendes Gehirn zusammen. Er erprobte die Willfährigkeit des Steuerknüppels, ließ sich hinabstürzen, wackelte herausfordernd mit den Tragflächen und schoß erneut der Sonne entgegen. Er war eigentlich ein Raubvogel, ein Einzelkämpfer, ein Held. Stephan erkannte, daß das Schicksal von ihm jetzt wahrhaft heldischen Mut forderte. Wie man den Steuerknüppel zum Sturzflug herunterdrückte, mußte er nun den Schnitt vollziehen, entschlossen, mechanisch und kalt. Er berauschte sich an seinem Vorsatz, Aimée zu verlassen, wie an starkem südlichem Wein, der ihm gestattete, die Augen zu schließen und in einen tiefen Schlaf des Vergessens zu sinken.
Der Morgen war seinen nächtlichen Vorsätzen günstig. Aimée lag schon in der Badewanne, als Stephan die Augen aufschlug. Er arbeitete stumm und zielbewußt wie ein Soldat in geheimem Auftrag, als er seine Kleider zusammenraffte und sich fertigmachte. Es war, als habe sich sein Entschluß im gleichen Augenblick, in dem er eingeschlafen war, als Leibwache neben ihm niedergelassen und sei wieder vor die Augen des Herrn getreten, als dieser erwachte. Aimée war gewöhnt, daß er früh ohne sie das Zimmer verließ.
Die gespannte Erregung, mit der Stephan sich wortlos unausgesetzt versicherte, daß er etwas Hochbedeutendes unternehme, verließ ihn bis Vichy nicht. Er sah noch das Paket Dollarnoten vor sich, fast seinen ganzen Besitz, das er mit einem Zettel, auf dem »Adieu!« stand, auf Aimées Kopfkissen gelegt hatte. Soviel Geld ist so gut wie ein Paß, sagte sich Stephan und fühlte die Freiheit wie der Flüchtling aus einem Gefängnis.
In Vichy war Aufbruchstimmung. Es herrschte allgemeine Verwunderung darüber, daß Stephan noch einmal zurückgekommen war. Es gab noch weniger zu tun für ihn als vorher. Stephan hatte viel zuviel Zeit, um nachzudenken und sich mit den Kennern der Lage zu unterhalten. Auf einmal schämte er sich. Er wußte jetzt wieder, daß es noch andere Wege gegeben hätte, Aimée ins friedliche Ausland zu geleiten, als die Heirat.
Stephan raffte sich auf, setzte sich ins Auto und fuhr zurück |443| nach Narbonne. Im »Midi« erfuhr er, daß »Madame« sofort nach ihm abgereist sei. Sie habe jedoch einen Brief für ihn hinterlassen, zusammen mit einem Lederhandschuh, den Stephan offenbar bei seinem hastigen Aufbruch auf dem Zimmer vergessen hatte.
Daß sie geahnt hat, daß ich noch einmal zurückkomme, dachte Stephan und wurde rot. In dem Café gegenüber dem Hotel drehte er den Brief in seinen Händen hin und her, unschlüssig, ob er ihn lesen solle oder ungeöffnet aufheben oder ungeöffnet vernichten. Plötzlich fiel ihm auf, als er sich umsah und alles unverändert fand, wie zu der Zeit, als er allmorgendlich auf dieser Terrasse zu sitzen pflegte, daß dennoch etwas fehlte, ein wichtiger Bestandteil des alten Bildes: Dr. Frey war nicht mehr da, der lästige, wache kleine Frankfurter war verschwunden. Sie haben nur abgewartet, daß ich weg war, dachte Stephan und versank in ein fruchtloses Grübeln über sein Glück, seine Bosheit, seine Klugheit und darüber, wie unabhängig von all dem sein Leben seinen Lauf nahm.
|444| III.
Obwohl meine Mutter sich nur selten dem Geschäft des Kochens mit der Hingabe widmete, die sie gern den Köchinnen vergangener Zeiten zuschrieb und von der sie behauptete, daß sie in unserer Zeit einen atavistischen Luxus darstelle, zu überflüssig, um noch genußreich sein zu können, gab es Mittagessen, die sie mit einem gewissen Aufwand vorbereitete. Unverhofft fiel auf ein vergessenes Rezept ihr Gnadenstrahl, eine Speise sollte auf einmal wieder in duftender Fülle erscheinen, die bis dahin nur noch auf den zart zerknitterten und zwischen den Kochbuchseiten wieder glattgepreßten Zetteln in der dünnen, lockeren Handschrift meiner Großmutter ein geheimes Leben führte und spirituell und unfaßlich geworden war wie der Plan eines von der Erdoberfläche verschwundenen Bauwerkes, der dessen physische Wirklichkeit weit mehr verschweigt als verrät. Allerdings verbot das Temperament
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