Das Bett
im Gesicht herumgefahren war und ihm im Kinderbettchen die Decke fest um den Körper gestopft hatte. Aimée hatte anscheinend begriffen, was zu tun war, wenn man mit ihm zusammenbleiben wollte. Er bewunderte sie ohnehin und immer noch, weil sie, von Florence und Agnes abgesehen, die einzige unsentimentale Frau in seinem Leben war. Vor dem Einschlafen dachte er einmal geradezu selig: Sie ist nicht so schrecklich gefühlig wie die anderen.
In ihrer Beziehung gab es kein Theater, keine Machtkämpfe |440| und überhaupt nichts, was Stephan gewohnt war, »Schmonzes« zu nennen. Immerhin spürte er bereits ein Hochgefühl des Glücks, wenn sie badete, und er einmal am Tag allein war. Sie verlangte dabei gar nichts von ihm. Sie war selbständig. Sie hatte keine Lust, ihn zu tyrannisieren. Aber er meinte manchmal, daß ihn ihr kühler, blauer Blick tiefer durchschaue, als ihm das von seiten irgendeines Menschen auf der Welt lieb gewesen wäre.
Und nun war es also beschlossen, daß sie zusammenblieben, das also würde jetzt sein Leben sein. Stephan empfand kein Glück bei diesem Gedanken, aber er bäumte sich auch nicht auf. Die Notwendigkeiten ließen nun einmal keine andere Wahl, und vielleicht würde ihm nie wieder ein Mensch wie Aimée begegnen. Er mußte zugreifen, wenn er nicht allein bleiben wollte, selbst wenn ihm der Zeitpunkt nicht behagte, selbst wenn soviel Wichtiges noch ungeklärt war und selbst wenn der Heiratsplan wirklich etwas plötzlich kam. Bei aller Schonung, die ihm Aimée durch ihre selbständige Planung hatte angedeihen lassen, wäre ein langsames Anwachsen dieses Gedankens Stephans Heiratslaune möglicherweise doch förderlicher gewesen.
Aimée freilich erwartete von ihm keine große Begeisterung. Sie glaubte ihn mittlerweile genau zu kennen, und sie wußte, daß mit Temperamentsausbrüchen bei ihm nicht zu rechnen war. Sie fühlte sich wohl bei ihm. Und wenn sie auch ahnte, daß sie auf die Dauer mit Stephan nicht viel gemeinsam haben würde, war sie doch bereit, in Zukunft dankbar und loyal mit Stephan zu leben. Stephan genügte dem, was sie von einem Mann erwartete, vollauf: Er war einfach, weltläufig, wohlhabend und in sie verliebt. Sie sah sich gern an seiner Seite, wenn sie in einem Restaurant plötzlich vor einem Spiegel standen. Zudem stand hinter ihm dies magische Wort »Amerika«. Aber selbst wenn wir die Ausstrahlung dieses Wortes auf Aimée ganz sachlich bewerten, änderte sie nichts daran, daß Stephan ihr gefiel und daß er auch unter günstigeren welthistorischen Konstellationen gute Chancen gehabt hätte, ihr zu gefallen. Wahrscheinlich war es der Funken Selbstsucht, den Stephan aus lauter Verwöhntheit zu faul zu verbergen war, der Aimée mit verwandtschaftlichen Empfindungen |441| anheimelte und zugleich ihre bei allem Zynismus romantische Wahrheitsliebe beeindruckte.
Aimées Fairneß äußerte sich noch am selben Abend in einem Ereignis, mit dessen Zustandekommen Stephan nicht mehr gerechnet hatte: Sie hatte ihre Ansicht in bezug auf das, was sein mußte oder nicht sein mußte, auf einmal geändert.
So erfreulich dieser Sinneswandel für Stephan an jedem anderen Tag gewesen wäre – jetzt schlug er zu Aimées Schaden aus. Stephan lag lange wach in dieser Nacht. Aimées Umarmung hatte ihn aufgetaut. Sein unter der Schockwirkung des Nachmittags erstarrter Gedankenapparat geriet wieder in Bewegung. Auf einmal erschienen ihm Aimées Handlungen von Anfang an berechnend. Vom ersten Augenblick an hatte sie nichts anderes vorgehabt, als ihn nach allen Regeln der Kunst zur Strecke zu bringen. Er hatte sich naiv und gutgläubig, wie er es selbst in der Pubertät nicht gewesen war, ihren doch recht einfach gestrickten Unterwerfungsmethoden ausgeliefert. Er glaubte auf einmal nicht mehr daran, daß sie ernsthaft in der Gefahr schwebte, nach Deutschland deportiert zu werden. Und wenn schon. Gehörte sie da nicht im Grunde auch hin? Für sie gab es in Deutschland doch gar keinen Ärger, sie hielt sich schließlich nur aus Hochmut und Eigensinn von ihrem Vaterland fern, vielleicht auch aus Faulheit; dort würde sie wahrscheinlich hart arbeiten müssen für Hitlers Sieg. Wochenlang hatte sie ihn an der Nase herumgeführt, ihm den nicht vorhandenen Schopf abgeschnitten wie einst Dalila dem Samson.
Was für ein freier, unbekümmerter Mensch war er einmal gewesen. Keinen Blick hatte er fürchten müssen; er war einmal ein Flieger. Das schien nun lange her zu sein.
Stephan starrte ins Dunkle,
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