Das Bett
auszukochen, einfach einen Würfel fettigen Konzentrats in das brodelnde Wasser warf und in Minuten erreichte, was früher das Ergebnis von Stunden gewesen war.
Meine Tante hingegen erinnerte sich wohl daran, daß einst im Souterrain viel Aufhebens vom Kochen gemacht worden war, hatte aber niemals empfunden, daß diese Mühen auch ihr galten, und fühlte sich genaugenommen nicht wirklich betroffen, wenn etwas Gutes auf den Tisch kam. In selbstgewählter Vereinzelung saß sie zwischen den Schmausenden und pflegte in sich die Vorstellung, daß sie wie ein kleiner Soldat plötzlich vom |449| Tisch aufstehe, um, ohne sich einmal umzusehen, diese freundliche Tafel mit ihrer eigentlichen Heimat, einem entbehrungsreichen Biwak, zu vertauschen. Ohne die geringste Aufsässigkeit zu zeigen, wußte sie, daß die bürgerliche Behaglichkeit, die sie vom ersten Tag ihres Lebens an umgab, ihr Wesen nicht berührte. Es lag eine besondere Tücke ihres Schicksals darin, daß ihre Wildheit und Verlassenheit für ihre Verwandten wie bedauernswerte Altjüngferlichkeit aussahen, obwohl meine Tante weder abgestorben noch unempfindlich war.
Ihre Dienstwilligkeit bei der Zubereitung kulinarischer Köstlichkeiten, wie des Kartoffelsalates, den meine Mutter anläßlich des Abschiedsbesuchs von Florence und Stephan zu bereiten gedachte, hätte meine Mutter rühren müssen, wenn sie ein Auge für die tapfere und zugleich blinde Ungeschicklichkeit besessen hätte, mit der sich ihre Schwester ihren Aufgaben unterzog. Niemals freilich war meine Tante weniger bereit, die Besonderheiten einer Kartoffel, die sich mit einer Mischung aus erhitztem Apfelwein und Rinderbouillon vollgesogen hatte, zu ermessen als an diesem Tage, an dem sie sich die Fingerspitzen an den heiß aus dem Sud kommenden Kartoffeln verbrannte, um aus ihnen für Stephan einen Salat zu schneiden, das letzte, was sie für ihn tun durfte.
Der Aufbruch der »Ménage Korn«, wie meine Mutter sich gern ausdrückte, hatte sich um einige Tage verzögert. Wenn es auch zunächst aussah, als rechne Florence nach ihrem Ausflug mit meiner Tante nach Kronberg nicht mehr damit, daß sie und Stephan noch einmal mit meiner Tante zusammentreffen würden, hatte sie, wenn sie sich des Gesichts meiner Tante bei ihrem Abschied erinnerte, alle Furcht vor einem neuen Zusammentreffen verloren. Als sich Florence dann zusammen mit Stephan für einen Abschiedsbesuch bei uns ansagte, konnte sie sich außerdem durch die vorsichtigen Andeutungen, die mein Vater machte, leicht davon überzeugen, wie wirkungsvoll ihre Unterredung mit meiner Tante den Gang der Ereignisse beeinflußt hatte. Meinem Bruder und mir hingegen erschien das Verhalten meiner Tante erst bei diesem Mittagessen wirklich eigenartig, |450| davor hatten wir gerade begonnen, besser mit ihr zurechtzukommen.
Ich erinnere mich, daß in den Tagen vor Stephans Abreise die Beklommenheit, die ich meiner Tante gegenüber empfand, gewichen war, weil sich ihr ganzer Ton uns gegenüber verändert hatte. Wir spürten nichts mehr von der verzweifelten Bemühung, uns näherzukommen, nichts mehr von dem ungeschickten Erziehungsgehabe, das uns um so unglaubwürdiger vorkam, als sie versuchte, ihr Gesicht vor uns zu wahren, denn sie konnte ihren Lehrerinnenberuf niemals verleugnen. Dennoch erwarb sie sich bei uns keinen Respekt, und wir folgten ihren Anweisungen nur, wenn wir sie von den Wünschen unserer Eltern gedeckt wußten. Unsere Unbotmäßigkeit war ihr geheimer Kummer während ihrer Aufenthalte im Haus meiner Eltern, denn sie hielt sich dadurch für unnütz, für eine Last des Haushalts, dem sie sonst nichts beizusteuern hatte. Ich wußte früh, daß meine geringe Bereitwilligkeit zum Gehorsam eigentlich eine Art von Unkameradschaftlichkeit darstellte, denn meine Tante verlangte nicht wirklich die Unterordnung unter ihre Vorschriften. Sie hätte sich ebensogut mit dem Schein des Gehorchens zufrieden gegeben und diesem Schein auch ihre pädagogischen Ideale geopfert, weil ihre Sehnsucht nach friedlicher Harmonie in unserem Haushalt noch stärker entwickelt war als die nach der Erfüllung ihrer eingebildeten Pflichten.
Was uns in den Tagen nach dem Ausflug nach Kronberg auffiel, war die gute Laune meiner Tante, eine fast übersprudelnde Redseligkeit uns Kindern gegenüber, aber nicht mehr lehrhaft, sondern heiter und um uns an ihrer eigenen aufgeregten Stimmung teilnehmen zu lassen. Auf einmal steckte meine Tante voll von Geschichten, wie ich sie liebte
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