Das Bett
meiner Mutter selbst beim Kochen, unumschränkt einer anderen als der eigenen Autorität zu folgen, denn die Patriarchengeste meines Großvaters hatte ihr nicht nur die Motive und Fähigkeiten aller Männer verdächtig gemacht, sondern darüber hinaus überhaupt jedes tradierte Prinzip, ihren eigensinnigen Zweifeln ausgeliefert, und seien es auch die Küchenregeln, denen sich meine Großmutter nicht aus Unselbständigkeit und Vergangenheitshörigkeit untergeordnet hatte, sondern weil sie sie als nützlich und erprobt befand. Der Blick meiner Mutter kühlte ab, wenn sie sich ein solches Rezept vornahm, nachdem sie ihr Vorhaben meist schon Tage vorher angekündigt hatte und sich dabei liebevoller Worte |445| über die elterlichen Mahlzeiten nicht schämte. Zunächst behauptete sie, die Schrift meiner Großmutter nicht lesen zu können, als handele es sich bei den handschriftlichen Supplementen zum Kochbuch um die entlegensten gotischen Manuskripte und nicht um die Hand ihrer Mutter, die keineswegs die von den Volksschullehrern der Kaiserzeit erfundene und eisern gelehrte »Deutsche Schrift« schrieb, sondern eine zwanglos aussehende Mischung aus lateinischen und deutschen Buchstaben, die ihrer Schrift die unverstaubte Eleganz des 18. Jahrhunderts gaben und obendrein besonders gut lesbar waren. Wenn meine Mutter dann behauptete, ein Gericht nach dem Rezept ihrer Mutter gekocht zu haben, hatte sie die einzelnen Vorschriften, Zutaten und Mengen, die mit zweifelsfreier Nüchternheit von meiner Großmutter angegeben waren, freilich kaum beachtet. Wie eine Wahrsagerin, die mit entschiedener Bewegung den Satz des türkisch gebrauten Kaffees vor sich hin auf den Tisch schüttet, weil seine unvorhersehbaren Formationen sie in mantische Trance versetzt, betrachtete meine Mutter die alten Rezepte, ohne sie zu lesen, und ließ sich von ihnen in eine milde Stimmung gegenüber ihrer familiären Vergangenheit versetzen, die sie sonst eher kritisch zu schildern geneigt war.
In der Zeit, in der meine Tante bei uns wohnte, kamen solche Rückgriffe auf die Welt meiner Großeltern häufiger vor, weil meine Mutter glaubte, vor ihrer Schwester, deren junggesellenhafte Anspruchslosigkeit jeder geregelten Haushaltsführung entwöhnt war, mit Kostproben einer entwickelteren Ökonomie glänzen zu sollen. Leider stimmte solcher Aufwand meine Tante doppelt schüchtern, weil sich in ihm die respektheischenden Häupter ihrer verblichenen Eltern zugleich mit den ohnehin schwer zu fassenden Vollkommenheiten meiner Mutter zu einer erdrückenden Phalanx fügten, der gegenüber sie nur noch den eigenen Unwert, bevor er ihr womöglich vorgehalten wurde, freimütig zugeben konnte. Dabei tat meine Mutter alles, um meine Tante in ihrer eigenen achtungslosen Haltung gegenüber den Leistungen der elterlichen Küche zu bestärken. Sie sprach voller Verachtung von Menschen, die nichts Besseres zu tun hatten, |446| als fünf Stunden lang Bouillon zu kochen, und sie zitierte höhnisch eine Vorschrift, die angeblich aus Trier stammte, deren Wortlaut viel wahrscheinlicher jedoch in der Kaiserzeit bereits in kabarettistischer Absicht abgefaßt worden war: »Zum Sauerkrautkochen nimmt man Champagner, arme Leute nehmen einen feinen Mosel.« Meine Tante fiel bei solchen Reden von einem Gefühlsextrem ins andere: sie bestaunte demütig die handwerkliche Inbrunst, sie erschrak vor der frivolen Verschwendung, und sie neigte ihr Haupt vor denjenigen, die das Für und Wider in solchen, ihrem eigenen Lebenskreis unendlich fernliegenden Fragen gewandt ins Gefecht zu führen wußten, wie meine Mutter es tat, wenn sie zusammen Gemüse putzten, um die bei uns so gut als Vor- wie auch als Hauptspeise immer wieder auf den Tisch kommende Gemüsesuppe vorzubereiten.
Es war in solchen Augenblicken, als seien die beiden Frauen nicht Schwestern, die für eine ganze Jugendzeit Tag für Tag am selben Tisch Platz genommen hatten, sondern als stammten sie aus vollkommen verschiedenen Milieus, die es unfaßlich erscheinen ließen, daß ein Volk dermaßen weit voneinander entfernte Lebensgewohnheiten in seinen Klassen und Schichten duldete und dennoch eine einzige Sprache gebrauchte. In dieser Hinsicht nämlich bewiesen meine Mutter und meine Tante die tiefe Einigkeit gleicher Herkunft, sie hatten sich die bürgerliche Version des eigentlich ländlich klingenden Idioms der Mosel bewahrt. Wenn die klingende Erinnerung an Trier den Reden meiner Mutter aber den Charakter der Skepsis und der
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