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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Nüchternheit verlieh, führte derselbe Akzent dazu, die melancholische Ruhe, die vorwurfslose Resignation meiner Tante in geradezu orientalischem Singsang noch deutlicher werden zu lassen, als sie es den gezügelten Inhalten ihrer Worte jemals gestattet hätte. Meine Tante wußte, daß die Vorwürfe meiner Mutter gegen die Bevölkerung Frankfurts, die nichts davon verstehe, was ein richtiger katholischer Karneval sei, mit ebensogutem Recht auch gegen sie selbst hätten erhoben werden können. Sie fühlte sich angesprochen, wenn meine Mutter sich über das Ehepaar lustig machte, dem der Kolonialwarenladen auf dem Trümmergrundstück |447| des Hauses Wafelaerts gehörte, keineswegs Frankfurter nebenbei, sondern aus Breslau gebürtig, für meine Mutter jedoch als Bestätigung ihres Urteils über eine Stadt willkommen, die solche Neubürger in ihren Mauern duldete.
    Ihr kleiner Laden war aus Trümmerholz zusammengezimmert. Die Ahnung, daß ihnen auf diesem Grundstück bestimmt kein Bleiben beschieden sein würde, hinderte das Ehepaar daran, an den häßlichen Provisorien der ersten Stunde unnötig herumzubessern, und die beiden Breslauer fühlten sich in ihrer Bitterkeit nur bestätigt, als sie sich endlich entschlossen hatten, den alten Eisschrank, der zweimal in der Woche mit einem Eisblock aus der Wassereisfabrik gefüllt wurde, gegen ein elektrisches Fabrikat auszutauschen, und ihnen, kaum daß die teure neue Maschine Aufstellung gefunden hatte, der amtliche Bescheid zuging, daß es mit dem Trümmeridyll nun ein Ende habe, weil das Wafelaerts-Grundstück neu bebaut werde und das Hüttchen daher verschwinden müsse. Zur Fastnachtszeit war es hingegen auch in ihrem Laden beinahe übermütig zugegangen. Am Rosenmontag bediente das Ehepaar, das wie immer seine Arbeitskittel über dem Reißverschlußpullover trug, zwar mit derselben üblen Laune, dem grämlich verschlossenen Mund, dem trüben Blick und der unwilligen und gekränkten Stimme, aber doch nicht ohne den Besonderheiten der Festtage Rechnung zu tragen, denn Frau Busack hatte sich ein rosaglitzerndes Spitzhütchen mit einer durch jede Bewegung in wildes Schwanken versetzten hellgrünen Papierquaste, das von einem Gummiband um den Hinterkopf gehalten wurde, auf den graugelockten Kopf gesetzt, und Herr Busack trug die in Pappe gearbeitete Nachahmung eines Fez, wie er in der Türkei schon lange verboten war. Sie wollten sich nicht eigentlich verkleiden, sie trugen den Karnevalsfirlefanz wie Opfer, die von Schergen in kindischer Grausamkeit mit Eselsohren geschmückt werden, weil sie nicht nur des Lebens, sondern auch ihrer Würde beraubt werden sollen. Wenn es also dem Ehepaar Busack gelang, ihre Kunden stets in die Stimmung unbestimmten Mitgefühls zu versetzen, wenn sie den Laden betraten, um dort Seife und Tomaten einzukaufen, |448| fügte meine Tante diesem Mitleid noch eine feine Nuance hinzu, wie es ihrer im Leid erfahrenen Seele zukam. Sie ahnte, daß nicht nur mangelnder Leichtsinn die Busacks an der ungehemmten Mitfeier der Fastnachtstage hinderte. Gewiß, es war nicht schön, wenn man sich der kalendarisch verordneten Fröhlichkeit verschloß, und doch war es sicher rücksichtsvoller, wenn sich aus dem saturnalischen Treiben rechtzeitig aussonderte, wer befürchten mußte, daß ihm unversehens im Konfettiregen die Tränen in die Augen sprangen. Meine Tante suchte Gefährten in ihrem Leid, und wenn sie irgendwo welche entdeckt zu haben glaubte, begann sie die innigste Teilnahme zu zeigen, als zähle ihr eigenes Unglück nichts gegen den Kummer der anderen.
    Ganz in Gedanken an das Schicksal der Busacks, mit denen sie übrigens niemals viel gesprochen hatte und die sie erst richtig bedauerte, seitdem meine Mutter über sie herzog, sah sie meiner Mutter zu, die über geschälte Kartoffeln eine Flasche Apfelwein goß, ein Rezept, das ihr aus ihrer Jugend in Erinnerung geblieben war. Allerdings lehnte sie es entrüstet ab, für die andere Hälfte des Sudes, in dem die Kartoffeln kochen sollten, eine richtige Bouillon zu bereiten, was in ihren Augen geradezu eine Versündigung gegen den Geist des Fortschritts bedeutete. Der Fortschritt hatte mit Sturmesbrausen alles hinweggeblasen, was ihr an ihrem Elternhaus mürbe und welk erschien, und er war durch dies Reinigungswerk zu einer moralischen Kraft angewachsen. Meiner Mutter bescherte er die Gelegenheit zu Triumphen, wenn sie zum Beispiel, statt Markknochen, ein großes Stück Suppenfleisch und ein Huhn

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