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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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es gab den Schrank und auch eine Kommode, einen Spiegel, den Ausguß, das Fenster, den Herd, Haken an der Wand, um etwas aufzuhängen, und schließlich entdeckte Florence in der dunklen Zimmerecke nahe der Tür auch das Bett. Die Tür hatte Florence offengelassen, weil Agnes nicht erschrecken sollte, wenn sie nach Hause kam, und im Schatten dieser Tür war das Bett doppelt geborgen. Es war frisch bezogen. Das enorme Plumeau war ballonrund aufgeschüttelt, und die Spitzen des feisten Kissens, das durch einen leichten Schlag mit der Handkante in der Mitte einen Knick erhalten hatte, ragte willkommenwünschend in die Luft. Die Decke war umgeschlagen. Sie lud dazu ein, sich in die warme Tasche zu legen, und zwischen Decke und Kissen lag ein frischer, weißseidener |484| Schlafanzug mit einem rot eingestickten kleinen Monogramm.
    Es war dieser nicht nur harmlose, sondern vielmehr besonders behagliche Anblick, der Florence aus dem Gleichgewicht brachte. Vorsichtig, als wolle sie vermeiden, daß jemand ihre Gegenwart bemerke, zog sie einen Stuhl unter dem Tisch hervor und ließ sich darauf nieder. Niemals war ihr Stephan so fremd vorgekommen wie jetzt. Alle seine Sonderbarkeiten hatten sie nicht hindern können, für ihn Gefühle zu entwickeln, die über Mutterliebe weit hinausgingen. Stephan war aus ihrem Stamm, nicht aus dem von Willy, das hatte für sie auch bei seinen befremdlichsten Handlungen stets außer jeder Diskussion gestanden. Sie fragte sich gar nicht lange, worin dieser Gleichklang zwischen ihnen eigentlich bestand, den sie mit solcher Sicherheit immer wieder vernommen hatte, und vielleicht hätte sie bei genauerer Selbsterforschung auch nur herausbekommen, daß sie von vornherein geneigt war, Stephan die gleiche Superiorität wie sich selber zuzubilligen, eine Vortrefflichkeit, die sich bei ihm eben nun einmal anders ausdrückte als bei ihr.
    Aber dies, was sie hier erfuhr, und sie bedurfte nach dem ersten Blick auf das Bett keiner weiteren Erklärung mehr, entzog ihr den Boden unter den Füßen. Sie war ratlos, mehr noch, sie begann sich einfach fehl am Platz zu fühlen. Hier war die Welt der sieben Zwerge, ein Puppenhaus, reingefegt und sonnengewärmt, alles war auf sanfte Pflege und Ammenbräuche hin eingerichtet. Schneewittchen war ausgegangen, um Blaubeeren zu pflücken, die Zwerge hämmerten derweilen in ihrer unterirdischen Fabrik, aber bald würde das Türchen unten aufspringen und alle Bewohner, mit kleinen Körben und zierlichen Werkzeugen über den Schultern, kehrten nach Hause zurück, um sich zusammen an ihr Tischchen auf ihre Stühlchen zu setzen; eines würde die Tellerchen bringen, ein anderes würde Eier braten, und das nächste würde die Rätselhefte in die Kommode räumen. In der Mitte des Raumes aber saß riesengroß die böse Stiefmutter, die das Häuschen im Wald endlich aufgestöbert und sich hineingedrängt hatte, wo sie nicht hingehörte und niemand sie |485| haben wollte. Aber, erstaunlich genug, niemand nahm sie zur Kenntnis, das Treiben um sie herum ging fröhlich und mit geheimnisvoller Emsigkeit fort und fort, als ob sie gar nicht im Zimmer sei. Sie war einfach zu groß, um gesehen zu werden. Niemand hier konnte sich etwas so Großes wie die böse Stiefmutter vorstellen, und da die Sinne auch bei den Zwergen stets dem geistigen Vorstellungsvermögen gehorchen, blieb Florence ihnen unsichtbar, obwohl sie sich fortwährend an ihr stießen.
    Mutlosigkeit überkam sie. Was hier zu tun war, und ob überhaupt etwas zu tun war, konnte sie nicht allein entscheiden. Ängstlich dachte sie an Tiroler. Er überforderte sie damit, daß er schon sterben wollte. Sie war noch nicht soweit. Er irrte sich, wenn er glaubte, sie könne schon, ohne seine Kraft immer neu einzusaugen, die Aufgabe, die er ihr zugedacht hatte, in seinem Sinne erfüllen. Vielleicht war es wirklich falsch, Stephan hier zu stören. Sie kannte ihn immer weniger, wie sollte sie die Bedürfnisse kennen, die ihn in dies Bett geführt hatten? Keinesfalls wünschte Florence, mit irgend jemandem in eine Konkurrenz zu treten, die aussichtslos war, weil sie das, was den Feind für Stephan anziehend und wichtig machte, nicht begriff. Plötzlich war sie voller Dankbarkeit, daß sie Agnes nicht angetroffen hatte. Sie raffte sich zusammen und stand auf, denn nur der einzige Gedanke beherrschte sie, Agnes ungesehen zu entkommen. Den Scheck, den sie vorbereitet hatte, legte sie auf den Tisch, obwohl der Zweck der Zahlung ihr nicht mehr

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