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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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ausfüllende Tätigkeit zu übernehmen, in ihrem zukünftigen Leben sollte weder Wohltätigkeit noch Malerei eine Rolle spielen, und sie hatte nach wie vor nicht die geringsten religiösen Bedürfnisse. Dennoch erfüllte sie die Gewißheit über das Kommende, so daß sie sich ein Zögern Stephans, jetzt, nachdem sie die schwachen Fäden, die ihn in eine andere Richtung hätten ziehen können, kurzentschlossen durchgeschnitten hatte, einfach nicht vorstellen konnte. Es stand ohnehin für sie fest, daß Abweichungen auf Stephans Lebensweg, die nicht in ihr Konzept paßten, immer nur von außen kommen konnten, und sie merkte niemals, wie sie sich in ihrer Beziehung zu Stephan dadurch bestärkte, daß sie verächtlich triumphierend Stephans Schwäche als die Garantie seiner Treue geradezu feierte. Es gab nichts, was Stephan in Frankfurt halten konnte, nachdem Tiroler gestorben war – das war die Logik, die sich ihr einstmals unbestechlicher, wenn auch niemals origineller Geist nun, ohne die geringste Scham dabei zu empfinden, zu eigen machte.
    |478| Die Fahrt zu Agnes trat sie deshalb ohne Furcht an. Ihre erste Überlegung war gewesen, Agnes zu überreden, nach New York überzusiedeln, wo sie Stephan vermutlich auf die Dauer lästig werden würde. Übrigens trieb sie nicht die Neugier, als sie in die schäbige Siedlung hinausfuhr. Sie wollte nicht wissen, was Stephan und Agnes zusammen gemacht hätten, ihr genügte die Überzeugung, daß Stephan in dieser Frau etwas gesucht hatte, was sie ihm bisher nicht zu geben imstande gewesen war, aus tausend Gründen. Henry Tiroler hatte ihr das wundervoll aufgezählt, und sie hatte auch zugehört, und doch hatten all diese Gründe, die sie gar nicht abstreiten wollte, wenig mit der Geschichte ihrer Empfindungen für Stephan zu tun, in der jetzt ein neues, das letzte Kapitel aufgeschlagen werden sollte. Agnes mußte deshalb abgefunden, es mußte ihr klargemacht werden, daß sie von nun an keine Rolle mehr in Stephans Leben zu spielen habe, und die Enttäuschung, die das für solch ein Ersatzmuttertier bedeutete, wollte Florence ihr mit einer Donation versüßen, die garantieren würde, daß Agnes sich an die Abmachungen auch hielt. Sie bemerkte nebenbei, wie sicher Stephans Chauffeur den Weg in diese Vorstadt fand, wie er sich rühmte, den Weg auswendig zu kennen und sogar eine schöne Abkürzung gefunden zu haben. Aber sie hielt es für unter ihrer Würde, den Angestellten auszuhorchen, um etwas zu erfahren, was vielleicht peinlich war.
    Stephan hatte meine Tante seit dem Tag ihres Ausflugs nach Kronberg nicht wiedergesehen, aber das war noch nicht lange her, und ihm kam überhaupt vor, als lebe er auf einer Wolke, seit er mit meiner Tante zusammen die Schreibmaschine zur Reparatur nach Bockenheim gebracht hatte. Er zählte die Tage und Stunden nicht mehr. Es war ihm noch nicht recht klar, wie er die Schwierigkeiten, die neuerdings durch das Auftauchen seiner Mutter entstanden waren, eigentlich aus dem Weg räumte, und er hoffte nichts anderes, als daß ihm das Glück, das ihm bisher stets treu gewesen war, auch hierbei zu einer gewaltlosen Lösung verhelfen würde, ohne Schweiß und Tränen, ohne endgültige Erklärungen und ohne übermäßige Kraftanstrengung. Es beunruhigte |479| ihn ein wenig, daß Florence meine Eltern angerufen hatte, um ihren und seinen Abflug anzukündigen, und er vermutete zu Recht, daß diese Nachricht auch meine Tante erreichte. Stephan fragte sich, was sie sich wohl denke, wenn sie das hörte, und was sie davon halte, daß sie es nicht von ihm selbst erfuhr. Stephan hatte Angst, daß meine Tante durch sein widersprüchliches Verhalten an ihm zweifeln könne. In einer Aufwallung von Hoffnung sagte er sich, daß sie den Nachrichten von anderen nicht glauben und seine Stellungnahme abwarten würde. Er stellte sich vor, daß meine Tante in innerer Verbindung zu ihm stehe und jeden Gedanken, der sich in ihm vorbereitete, mitvollziehe, noch bevor er ihn ausgesprochen habe. Niemals mehr fühlte Stephan sich einem anderen Menschen so nahe, niemals zuvor hatte er eine solche Bereitschaft empfunden, für einen anderen Verantwortung zu übernehmen, selbst wenn er sich darunter noch nicht viel Konkreteres vorstellen konnte als die Arbeitspläne, die er in der Werkstatt des Schreibmaschinenmechanikers gefaßt hatte. Die nähere Beziehung Stephans zu meiner Tante ließ ihm alles, was er von sich wußte, als eine hauchdünne Schlangenhaut erscheinen. Mit dem ersten

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