Das Bett
Rot-Kreuz-Schwesterntracht oder mit ihrer Keilhose war sie nun endgültig zufrieden, sie würde niemals mehr, bis zu ihrem Tod, nach anderen Kleidungsstücken Ausschau halten.
Nur wenn Aimée Oppenheimer sie besuchte, kehrte ein wenig von der alten Neugier auf das Leben der Gesellschaft zurück, denn sie schämte sich nicht vor Aimée, obwohl sie sie fürchtete, und diese Furcht verjüngte sie. Es war das Unterlegenheitsgefühl, das eine kokette Frau angesichts einer Intellektuellen befällt, die Aimée für Ines auch noch war, als sie längst in Frankfurt verheiratet |490| lebte. Aimée blieb der alten Ines treu und machte ihr hin und wieder einen Besuch, denn Herr Oppenheimer wollte Ines nicht im Hause haben, und Ines war Aimée nicht wichtig genug, um einen Ehestreit ihretwegen auszutragen. Ines wiederum schlug Aimée niemals einen Termin aus und versuchte lieber, an solchen Tagen die Rot-Kreuz-Station früher zu verlassen, denn sie hatte die Erfahrung gemacht, daß es lang dauerte, bis Aimée wieder einmal Zeit fand, wenn sie ihr einen Tag hatte abschlagen müssen. Am liebsten hätte Ines die Besuche von Florence und Aimée nacheinander gelegt, weil sie dann mindestens vier Stunden lang Unterhaltung gehabt hätte, während so zu befürchten stand, daß beide schon nach einer halben Stunde gemeinsam aufbrachen, da Florence Aimée zweifellos anbieten würde, sie im Wagen mitzunehmen, was erfahrungsgemäß auch die schonungsloseste Abkürzung eines Besuches hinreichend zu entschuldigen imstande war.
Ines, die die Kuppelei früher so geliebt hatte, war von den Freunden meist grausam enttäuscht worden. Oft ging eine erfolgreiche Kuppelei zum Nachteil des Kupplers aus. Fast nie durfte er an dem Glück, das er gestiftet hatte, als harmloser Zuschauer teilnehmen. Und doch stach sie diesmal ein wenig der alte Hafer. Es tat Florence gut, wenn sie sah, daß Ines noch nicht ganz und gar verlassen war. Sie stellte sich vor, mit Aimée beim Tee zu sitzen und, wenn es klingelte, zerstreut zu sagen: »Ach, das ist wohl meine New Yorker Freundin«, oder, wenn Florence als erste da sein sollte: »Ach Gott, jetzt kommt auch noch die kleine Aimée, was mag die wohl wollen? Es tut mir so leid, daß wir gestört werden.« Aimée war nicht nur klug, sondern geradezu furchterregend belesen, und Ines konnte das Vermögen der Oppenheimers auch daran abschätzen, daß Aimées Geist anscheinend ohne viel Widerstand vom Frankfurter Publikum ertragen wurde. Auf jeden Fall würde Aimée nicht verfehlen, Eindruck auf Florence zu machen. Vielleicht würde sie sogar irgendeine ihrer köstlichen Frechheiten sagen, wie die, von der sie Ines selbst erzählt hatte: »Sind Sie aber gebildet«, hatte jemand in aller Unschuld zu Aimée gesagt, und sie hatte darauf geantwortet: |491| »Können Sie das denn überhaupt beurteilen?« Solche Bemerkungen entschädigten Ines für vieles, und sie erhoffte sich ein ähnliches Erlebnis für diesen Vormittag, obwohl Florence natürlich nicht so naiv sein würde, dankbare Stichworte zu geben. Wie immer die Unterhaltung aber auch verlief, auf alle Fälle wollte Ines Aimée auffordern, diese Geschichte noch einmal zu erzählen, wenn sich herausstellen sollte, daß die Damen sich allzugut verstanden.
Ihre Sorge, daß das Arrangement mit beiden Damen möglicherweise doch nicht wirklich genußreich verlaufen könnte, trog sie nicht. Aimée war schon da, während die Korns auf sich warten ließen, so daß Ines, deren Phantasie sich ganz auf den Augenblick der Begegnung gerichtet hatte, von dem, was Aimée sagte, nur die Hälfte mitbekam. Aimée hingegen, die bemerkte, daß ihre alte Freundin zerstreut war, und die vermeiden wollte, sie anzustrengen, machte immer wieder Anstalten, aufzubrechen und zermürbte Ines damit. Weil es außerordentlich ungemütlich bei Ines war, wenn ein kalter Frühlingswind auf die zugigen Fenster blies, hatte Aimée ihren Pelz anbehalten. Sie verschränkte die Arme und zog die Schultern hoch, als habe sie einen Schneesturm auszuhalten, war aber sonst zunächst vergnügt und nur erstaunt, daß Ines derart unaufmerksam war.
»Jetzt wird sie endlich gaga«, dachte Aimée und beschloß, diesen Umstand als Aufforderung zu bewerten, ihre eigene Langeweile bei solchen Besuchen nicht mehr unnötig zu unterdrücken.
Aimées Fähigkeit, sich zu langweilen, hatte noch zugenommen, seit sie in Frankfurt lebte. Nachdem sie ihre abenteuerlichen Wege im Krieg schließlich in den Hafen von Ruhe und
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