Das Bett
Wohlstand geführt hatten, erlebte sie, wie ihre Waffen, die für den Lebenskampf geschliffen waren, allmählich nicht mehr gebraucht wurden. Witz, Mut und Kälte waren nicht nötig, um auf der Couchette zu liegen und in einem Buch zu blättern. Zugleich war sie klug genug, um sich nach den Zeiten der Unsicherheit keinen Augenblick zurückzusehnen. Sie hielt vielmehr an dem, was sie in ihrem Leben erreicht und was sie immer erstrebt hatte, |492| fest, und sie redete sich ein, daß ein Leben im Überfluß nun einmal mit Langeweile bezahlt werden müsse. Sie nahm sich vor, keine Launen zu haben, viel Geld auszugeben für Gegenstände, die sie in ihren Notzeiten niemals vermißt hatte, und dieses Wohlleben unter keinen Umständen zu gefährden. Sie konnte inzwischen ein brillantes Lob auf die Langeweile singen, aber es gab in Frankfurt niemanden, der es zu schätzen gewußt hätte, jedenfalls nicht in den Kreisen, in denen sie sich nun verpflichtet fühlte zu verkehren. Immerhin hatte Aimée viel Zeit zu lesen, und bald war sie in der großen Literatur, die ihr der Monsignore nannte, ganz zu Hause. Aber ihre heimlichen literarischen Lieblinge waren Altenberg, die Blixen und die Sackville-West, Autoren, die sie in der Hoffnung bestärkten, daß die gute Gesellschaft nicht ausschließlich von allem Geist entleert zu sein habe.
Für Ines, die sie in Paris noch geschmacklos und bürgerlich gefunden hatte, erwärmte sie sich in Frankfurt durch die Flut von Skandalgeschichten, die über sie im Schwange waren und die die Leute früher bewundert hatten, jetzt aber dankbar als Begründung dafür nutzen, daß sie keine Lust mehr hatten, sich um sie zu kümmern. Am liebsten war Aimée das Gerücht, Ines habe den schönsten Régence-Sesseln die halben Beine absägen lassen, weil sie sonst für den Couch-Tisch zu hoch gewesen wären. Ob das zutraf, konnte Aimée aus Ines nicht herausholen. Ines war seltsam kalt, wenn es um ihr altes Haus ging. Daß Ines jetzt dermaßen erbärmlich wohnte, erbärmlicher übrigens, als es nötig war, störte Aimée gesellschaftlich, nicht aber ästhetisch, beides Kategorien, von denen Ines sich inzwischen befreit hatte. Der Verlust ihrer Habe, noch mehr aber der Verlust der Gabe, einen jungen Mann für sich einzunehmen, war zuviel für ihre im Grunde kindlich gebliebene Seele gewesen. Durch die Verkehrung ihrer Empfindungen in ihr Gegenteil baute Ines einen Schutzwall gegen die Macht der Zerstörung: Es war nicht nur ärmlich in ihrem Zimmer, es war auch schmutzig dort, und es gab sogar Anzeichen dafür, daß nicht ungeschickt die Abscheulichkeit dieses Notquartiers durch die widersinnige Art, in der die delabrierten Möbel über den Raum verteilt waren, erst recht |493| deutlich gemacht worden war. Der von Florence mit Schauder betrachtete Eisvogel zum Beispiel verstärkte den Eindruck der Kahlheit an der Wand, wo er in einem Verhältnis zur Tür und zum Fenster hing, das bei längerer Betrachtung Gleichgewichtsstörungen verursachte. So etwas beanstandete Aimée niemals. Sie vermutete vielmehr, die Photographie habe schon vor Ines’ Einzug hier gehangen, und Ines sei eben zu souverän, in einem solchen Quartier, in dem ohnehin nichts zu retten sei, mit hilflosen kleinen Änderungen eine Art von Gemütlichkeit herzustellen.
Inzwischen war die Unterhaltung anregender geworden. Ines änderte die Taktik. Sie hatte gehofft, den Besuch der Korns als blanken Zufall hinstellen zu können, und mußte nun fürchten, daß ein Rencontre ihrer Freundinnen scheiterte, wenn es ihr nicht gelang, Aimée zum Bleiben zu bewegen. Sie begann daher, von den Korns zu erzählen, ohne ihren Namen zu nennen, und versuchte, sich dabei über Florence und Stephan ein wenig lustig zu machen, weil sie wußte, daß Aimée Spötteleien schätzte. Ines machte sich gar an ein komisches Porträt von Florence, beschrieb ihre Prüderie, ihren Reichtum, ihre Mutterinstinkte und ihr Aussehen: »Weißt du, hauchdünne Haut, sicher fünfundzwanzigmal geliftet, von weitem wie sechzehn, aus der Nähe siehst du dann das zerknitterte Seidenpapier, auch wenn sie geschminkt ist.«
»Das ist ja herrlich«, sagte Aimée, »wenn man sie umarmt, muß das ein Gefühl sein, als ob man ein Bündel raschelndes Papiergeld küßt.« Ines bedeckte mit der Hand ihre Augen, als seien ihr vor Lachen die Tränen gekommen. Sie erinnerte sich an den ersten Besuch ihrer Freundin und daran, daß sie aus den Augenwinkeln ein dickes Dollarpaket in ihrer
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