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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Handtasche deutlich wahrgenommen hatte, was nicht erstaunlich war, denn sie kannte noch von früher Florence’ Gewohnheit, niemals ohne einen Batzen Geld das Haus zu verlassen. Florence hatte die Tasche aber wieder zuschnappen lassen und war mit ihrem Geld verschwunden. Was Ines niemandem in Frankfurt übelnahm, verzieh sie Florence nicht, denn Florence hatte keinen Grund, sie zu verachten, weil sie keine Frankfurterin mehr war und sich |494| deshalb Neigungen hätte gestatten können, ohne Rücksicht auf ihre gesellschaftliche Position zu nehmen.
    Als es klingelte, hatten die Freundinnen schon viel über die Korns gelacht, und Ines sagte, als sie zur Tür ging: »Wehe, wenn du ein Gesicht machst. Wir müssen sofort wieder ernst werden«, worauf sie beide erst recht lachen mußten. »Nein, die Mama ist noch nicht da«, hörte Aimée Ines draußen auf dem Flur sagen, dann kam Stephan Korn in das verwahrloste Zimmer herein und sah Aimée in einem Sessel sitzen, den Pelz eng um sich gezogen und eine Meise beobachtend, die auf der Fensterbank Körner pickte.
    Stephan hatte bis jetzt geglaubt, daß Aimée nicht mehr lebe. Seine Rückkehr in das Hotel Midi damals in Narbonne war nicht sein einziger Versuch gewesen, etwas über ihr weiteres Schicksal in Erfahrung zu bringen. Er hatte das Land freilich bald verlassen müssen, war aber dann mit einer Luftwaffeneinheit, zu deren Bodenpersonal er gehörte, vier Monate nach der Invasion wieder nach Frankreich gekommen. Von dem Unterpräfekten in Narbonne, der Aimée so gerne mit einem Paß behilflich gewesen wäre, erhielt er nur eine ungenaue, zugleich aber unheilschwangere Nachricht. Der Unterpräfekt, der sich genau an Aimée erinnerte, wußte, daß sie sich mit einem Deutschen zusammen einem Mann angeschlossen hatte, der Flüchtlinge auf Schleichwegen über die Grenze führte. Gerade diese Gruppe sei von einer Patrouille entdeckt worden, weil der vermeintliche Fluchthelfer in Wahrheit ein Spitzel der Besatzungsmacht war. Stephan kam diese Nachricht nicht unerwartet; er war darauf vorbereitet, seit er Aimée verlassen hatte, um sie aus seinem Leben auszumerzen. Die Ungewißheit, mit der sich der Beamte äußerte, weil er keinen Beweis für Aimées Tod hatte, kam Stephan nur als schonungsvolle Verschleierung der Wahrheit vor.
    Die heimliche Überzeugung, Aimées Tod verursacht zu haben, entfaltete unterschiedliche Wirkungen bei ihm, die ihn je nach seiner Stimmung vollständig beherrschten. Natürlich gab es Tage, an denen er niedergeschlagen war, wenn er an Aimée und die letzte Nacht in Narbonne dachte. Er war oft genug davon |495| überzeugt, die einzige Chance seines Lebens, nämlich die, Aimée zu heiraten, sinnlos vertan und noch dazu ein Verbrechen auf sich geladen zu haben, als er das schutzlose junge Mädchen in dieser gefährlichen Zeit allein zurückgelassen hatte. An solchen Tagen fühlte er, wie die Jahre, die seitdem verstrichen waren, eigentlich nur noch in einem Dämmern bestanden hatten. Er lag als Mumie in seinem mit kostbaren Gegenständen, mit Dienern, Pferden und Wagen wohlausgestatteten Felsengrab, mit dem einzigen Unterschied zu den einbalsamierten Leichnamen im Tal der Könige, daß er noch seine Augen bewegen und seine Ohren gegen die Geräusche nicht verschließen konnte, die von dem Fortgang einer Welt zeugten, an der er nicht mehr teilnahm. Stephan hatte sich an diesen Tagen der Melancholie sogar daran gewöhnt, Selbstverachtung zu empfinden, eine Regung, die dem Sohn von Florence eigentlich nicht anstand. Sein einziger Trost bestand in der Gewißheit, daß niemand jemals von dem Vorgefallenen erfahren würde, weil es sich in jenen chaotischen Zeiten zugetragen hatte, als jeder Mensch von Gefahren bedrängt war. Ein Mädchen aus dem Nirgendwo hatte seinen Weg gekreuzt und war ins Nirgendwo zurückgekehrt, und wenn er das bedachte, dann schien ihm die ganze Geschichte schon kaum mehr ganz wahr zu sein.
    Es gab aber auch andere Tage, an denen ihn der Gedanke an den Tod Aimées und seine Schuld daran geradezu in Hochstimmung versetzte. Das waren die Tage, an denen er auch über Aimées Vorzüge ins Schwärmen geriet, dann erschien sie ihm als die bedeutendste Frau der Welt, nach Florence natürlich. Und eben diese Frau war dazu bestimmt gewesen, in seinem Leben eine gewisse Rolle zu spielen, bevor er sie wieder hinter sich ließ, denn selbst solch eine Göttin durfte Stephans Entwicklung nicht hemmen, es war ihr eben nicht vergönnt, sein Leben ganz

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