Das Bett
von diesen beiden Freunden Abschied zu nehmen. Wer sich wie sie einen festen Platz an unserem Tisch erobert hatte, war auch verpflichtet, ihn zu behaupten, indem er ihn täglich neu einnahm.
Jeden Tag, nachdem Stephan und meine Tante hintereinander verschwunden waren, fragte ich meine Mutter, ob sie heute nicht doch wieder zum Essen kämen, und meine Mutter, die die Unerfüllbarkeit meines Wunsches kannte, die mich aber zum Schweigen bringen wollte, sagte dann: »Sie sind eingeladen, aber sie kommen vielleicht doch nicht.«
»Kommen sie, oder kommen sie nicht?« fragte ich dann.
»Sie kommen«, sagte meine Mutter, hackte mit ihrem Küchenmesser eifrig auf den Kräutern herum und fügte genauer werdend hinzu: »Sie kommen
vielleicht.
«
|507| Nachwort
›Das Bett‹ ist mein erster Roman, aber kein Jugendwerk. Als ich 1980 mit der Arbeit an diesem Buch begann, hatte ich, bereits etwas verspätet, meine juristische Ausbildung abgeschlossen. Was ein Roman sei, meinte ich zu wissen, weniger aus den Definitionen der Literaturtheoretiker, als aus meiner Lektüre der Romane des 19. und 20. Jahrhunderts. Deren Autoren sind oft für eine denkbar widersprüchliche Ausgangsposition beim Schreiben ihrer Bücher bekannt. Zum einen sind ihre Romane mit autobiographischem Material derart gesättigt, daß mancher Leser sie als veritable Autobiographien zu verstehen – oder mißzuverstehen – geneigt ist; zum anderen weisen sie vielfach und eindringlich auf die Prävalenz der Form in ihren Werken hin. Einer strengen Formvorstellung kann man aber einen Stoff eigentlich nur unterwerfen, wenn er in seinem Ablauf zur Disposition steht, und das tut das eigene Leben bekanntlich nicht. Wenn autobiographisches Material zurecht gedreht und passend gemacht wird, um das Gerüst einer abstrakten Form zu bekleiden, kann von Autobiographie eigentlich nicht mehr gesprochen werden.
Autoren, die in ihre Autobiographie eingreifen, können dafür die unterschiedlichsten Motive haben. Dabei ist der naive Wunsch, das eigene Leben und die eigene Person aufregender darzustellen als sie sind, sicherlich am ehesten zu vernachlässigen, denn sein Ergebnis ist beinahe jedem offensichtlich. Aber es bedeutet auch schon eine ernste Verfälschung des Tatsächlichen, wenn man aus einem weiter andauernden Leben Episoden herauslöst, als handle es sich um abgeschlossene Erzählungen, |508| wo doch jedes, auch das bescheidenste Motiv eines Lebens, seinen bestimmbaren Platz in der biographischen Architektur erst mit dem Tod einnehmen kann. Dennoch liegt vielen Romanen eine solche Anekdotisierung des Lebens zugrunde.
Auch ›Das Bett‹ hat einen Anekdotenkern: Der heimkehrende Emigrant, der seine Amme suchte, um sich wieder zu ihr ins Bett zu legen, war eine Gestalt meiner Kinderjahre. Was das Ziel dieses Mannes in Deutschland war, hat man mir freilich erst viel später gesagt. Seine seltsame Lebensgeschichte erfuhr ich, als mir sein Bild nur noch als ferne Jugenderinnerung vor Augen stand. Was ich von diesem Mann wirklich wußte, was ich auf eine sich tief in die kindliche Phantasie gesenkt habende Weise von ihm aufgenommen hatte, waren nur einige wenige Bilder, die sich zusammenhanglos aneinander reihten.
Als wir zum Beispiel als kleine Kinder auf das Erscheinen des Nikolaus’ warteten, der sich mit bedrohlichem Rumpeln angekündigt hatte, öffnete sich unversehens die Tür, und herein trat nicht der Gottvater im Wattebart, den wir gewärtigten, sondern ebender Mann, der im ›Bett‹ Stephan Korn heißt, mit seiner weißen Glatze und seinem schmalen hocheleganten schwarzen Anzug, und hielt ein gemessen an unserer Körpergröße riesengroßes Lebkuchenhaus vor sich. Ich erinnere mich, daß meine Überraschung noch größer als das Hexenhaus war; in das Staunen war aber auch Enttäuschung gemischt, daß der rotgewandete Richter nicht auftrat, und zugleich Glück über die luxuriösen Ausmaße des Hexenhäuschens. Welche Gewalt Stephan Korn vor den Nikolaus geschoben hatte, blieb unklar, aber daß hinter verschlossener Tür eine geheimnisvolle Rochade stattgefunden hatte, lag auf der Hand. Ein noch wichtigeres, noch eindringlicheres Bild, das mit Stephan Korn verbunden ist, hing mit einem Ausflug zusammen, zu dem er meine Familie in sein großes schwarzes Automobil einlud. Es ging nach Würzburg, die in den fünfziger Jahren noch deutlich vom Krieg gezeichnete Stadt mit ihrer berühmten, damals teilweise ausgebrannten bischöflichen Residenz. Der Tag ist mir
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