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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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uneben gepflasterten Platz hielten, Stephans Chauffeur meiner Mutter die Tür öffnete und Bewegung in die zusammengedrückte Gesellschaft kam. Meine Tante beugte den Kopf sehr tief, als sie ausstieg, um ihren Hut nicht herunterzustoßen.
    In den Tagen vor dem Ausflug war zwischen meiner Mutter und meiner Tante wiederholt von diesem Hut die Rede gewesen, den sich meine Tante zur Hochzeit meiner Mutter gekauft hatte und der auffallend klein im Vergleich zu den übrigen Hüten der Hochzeitsgesellschaft war. Dieser Hut war kaum mehr als ein Haarreif, der weniger aufgesetzt als aufgesteckt wurde, er war eine Brücke aus Hunderten von kleinen schwarzen Federn, die ein geschwollenes Brüstchen bildeten, wie bei einem jungen Raben, und die geschützt und gehalten wurden durch ein feines |64| durchsichtiges Netz, das sich über diesen diademhaften Hut zog. Die Hutmacherin hatte dazu geraten, außer diesem Hut auch noch ein Haarnetz über die Locken zu legen, um den Eindruck lückenloser Verpacktheit des Kopfes entstehen zu lassen. Meine Tante aber trug kein Haarnetz, ihr Haar war noch mädchenhaft, wirkte aber nicht ungezügelt und wild, sondern eher etwas unordentlich, als sei es ihr nicht geglückt, sich so zu frisieren, wie sie es sich vorgenommen hatte. In Frankreich hätte man meine Tante dem Grad ihrer Bildung nach, bei ihrer Schüchternheit, ihren Skrupeln, ihren hoffnungslosen Kleidern als typisches Mitglied der Jeunesse Catholique eingestuft. In Deutschland kennt man die Erscheinung der katholischen Intellektuellen nicht; meine Tante führte ihr nonnenhaftes Leben unerkannt und daher auch ungetröstet.
    Was den Hut anging, hatte meine Mutter sie grausam im Stich gelassen. Auf die mit Selbstüberwindung gestellte Frage meiner Tante, ob sie bei der Autofahrt nicht passenderweise diesen Hut aufsetzen solle, antwortete meine Mutter vage und mit gespielter Gleichgültigkeit, wenn sie meine, sie müsse es wissen, als ob mit der Frage des Hutes zugleich auch viel weiterreichende und schwerer wiegende Fragen mitentschieden würden, die meine Mutter einem erwachsenen Menschen freilich nicht abnehmen könne. Mit diesem Verhalten hatte meine Mutter nun endgültig die Unbefangenheit ihrer Schwester zerstört. Daß sie den Hut dann doch noch aufsetzte, war Zeugnis dafür, daß sie einen regelrechten Entschluß gefaßt hatte. Sie wollte sich der Gefahr stellen, die sie mit ihrem herausfordernd geschmückten Kopf weckte – und dann? Wie sollte sie das wissen, da ihr Leben bis dahin nur in den andern Menschen unsichtbaren Kämpfen und Niederlagen im Innersten der Seele bestanden hatte.
    Daß der Aufbruch mir noch in den leuchtendsten Farben vor Augen steht, ist wahrscheinlich die Folge des Liedes, das mein Vater sang, als wir durch die Straßen der östlichen Vorstädte fuhren, um auf die Landstraße nach Würzburg zu kommen. Stephan und sein Chauffeur kannten den Refrain und sangen mit. Es war |65| das erste Mal, daß ich Stephan singen hörte, und auch mein Vater stockte in seinem Gesang und sah Stephan erstaunt an. »Woher kennen Sie denn dieses Lied?« fragte er, als sie zu Ende gesungen hatten. »No, nebbich, von der Hitlerjugend«, sagte Stephan, den meine Tante daraufhin entgeistert betrachtete und dann zwischen meinem lachenden Vater und Stephan hilflos hin und her sah. Das Lied handelte von der schönen Sommerszeit, von frischer und reiner Luft, in der man nicht rasten darf, weil man sonst rostet, von dem Wein, den man kosten will, und von dem Vorhaben, in das Land der Franken zu fahren.
    Es war ein regnerischer und ungemütlicher Wintertag, aber die Hoffnung auf das paradiesische Frankenland des Liedes vergoldete ihn und ließ seine Sprödigkeit reizvoll erscheinen. Würzburgs blinkende Kuppeln und Türme, seine vielbogige Brücke über den alten Main, sein Bischofsglanz lagen in greifbarer Ferne. Sicher würde das Leben sich ändern, wenn wir durch seine Straßen gegangen waren und festgestellt hatten, daß eine bestimmte, in der Phantasie beheimatete Seligkeit an manchen Plätzen der Welt handgreifliche Wirklichkeit ist.
    Ich begriff daher zunächst nicht gleich, als ich aufwachend den vorsichtig wie unter ein Joch geneigten Kopf meiner Tante und die geöffneten Autotüren sah, daß wir tatsächlich Würzburg schon erreicht hatten. Der Himmel war hier ebenso grau wie zu Hause, über den menschenleeren Platz pfiff ein kalter Wind, und an seinem Ende stand, groß wie eine zerstörte biblische Stadt, die ausgebrannte

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