Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
Türmen seines Domes hinab auf den Parkplatz, und er verfiel dabei möglicherweise der Sinnestäuschung, die jeden Menschen auf einem Turm befällt, nämlich daß die Distanzen von oben nach unten gesehen größer erscheinen als von unten nach oben. Dennoch galt dieser Stolz eben nur dem hohen Standort, er fühlte sich nicht als Bischof, sondern als auf dem Platz eines Bischofs, und sein Gefühl der Illegitimität |70| war dabei nicht größer, als es der Unterschied zwischen diesen beiden Empfindungsnuancen ist.
    Das gleichmäßige Motorengeräusch, die Wärme, mein Halbschlaf an der Schulter meiner Mutter, die eigentümliche Spannung, in der sich Stephan und meine Tante befunden hatten, als wir wieder ins Auto stiegen, die Eindrücke, die ich in Würzburg empfunden hatte, ließen mich nicht zu einem Eintauchen in das Reich der Träume kommen.
    Dennoch wußte ich nicht genau, ob die Tatsache, daß meine Mutter mit einem kleinen Koffer in der Hand und der Bischof Ludwig in der verwüsteten Würzburger Schloßkapelle zusammengetroffen sind, Ergebnis meiner unwillentlichen Vorstellung war oder ob sich im Dämmerzustand nicht Erinnerungsfetzen zu einem neuen, chimärisch ergänzten Bild zusammengefügt hatten.
    Meine Mutter setzte sich sehr bald auf eine umgestürzte Kirchenbank und stellte den kleinen Koffer neben sich in den Staub. Der Bischof ging in langsamen Schritten, unter denen der Schutt knirschte, vor ihr auf und ab und rieb sich die an der Brust liegenden Hände. Die beiden waren allein, ein ungemütlicher Lichtstrahl fiel von der Decke auf sie herab und hob sie aus dem Dunkel des Raumes hervor.
    Der Bischof hatte einen Brief in seinem Ärmelaufschlag stecken, über den er sprach; es handelte sich offenbar um eine Nachricht, die ihm meine Mutter hatte zukommen lassen.
    »Ich verstehe nicht, wie Sie es haben dazu kommen lassen können«, sagte der Bischof und hielt in seinem Auf- und Abgehen inne, sein Gesicht sah aus, als ob es nur aus Hängebacken und randlosen Brillengläsern bestünde, seine Stupsnase und sein schmallippiger Mund waren vor Ärger fast verschwunden.
    Meine Mutter war in ähnlich gereizter Stimmung.
    »Jetzt hören Sie schon auf zu schimpfen, deswegen bin ich nicht zu Ihnen gekommen.« – »Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nicht schimpfe, wie Sie sich auszudrücken belieben«, sagte der Bischof. »Was tun Sie denn?« sagte meine Mutter. »Ich tadle«, antwortete der Bischof und nahm dann schweigend seinen wenige Schritte messenden Weg wieder auf.
    |71| Nach einer Weile sagte meine Mutter: »Ich habe übrigens die Hochzeitsphotos mitgebracht.« Der Bischof hielt inne und zog die Augenbrauen hoch. »Wenn Sie erlauben«, sagte er und setzte sich neben meine Mutter, nachdem er einen Moment den Staub auf der Bank betrachtet und über die Folgen für seine violette Robe nachgedacht hatte, »wollen wir sie gleich ansehen.«
    Meine Mutter nahm den kleinen Koffer und ließ die Schlösser aufspringen. Im Koffer lag ein dicker Packen ungeordneter, gelblicher Photographien, die sie nach und nach dem Bischof reichte. Der musterte sie mit zusammengekniffenen Augen und gab sie dann zurück. »Sie haben ja ein schwarzes Kleid an«, sagte er, mit Entrüstung in der Stimme. »Wo?« fragte meine Mutter und ließ sich die Photographie geben: Darauf war sie selbst zu sehen, in einem schwarzen Kostüm und mit einem schwarzen kappenartigen Hut, der seitlich mit einem fächerförmig gepreßten Stück Filz fast ihr linkes Ohr bedeckte. Sie ging am Arm meines mit einem Myrtensträußchen geschmückten Vaters, rechts und links von dem Paar die gotischen Pfeiler eines Domes. »Das bin ich, sehen Sie das nicht?« fragte meine Mutter den Bischof und gab ihm das Bild zurück. »Ja, gewiß, deswegen erlaubte ich mir die Frage, meine Liebe. Sie tragen Schwarz. Sie wollten mir doch Ihre Hochzeitsbilder zeigen.« Das schlaue Lächeln meiner Mutter beunruhigte den Bischof mehr und mehr. »Eben. Ich trug Schwarz«, sagte sie dann in jenem besinnlichen Tonfall, in dem sie auch zu sagen pflegte: »Das muß ich allein mit meinem Herrgott abmachen.«
    Der geheime Wunsch des Bischofs, wenigstens einmal statt des eichhörnchenhaften Monsignore der Beichtvater meiner Mutter zu sein, ließ ihn zusammenzucken, als meine Mutter noch hinzufügte: »Sie können ja mal das Eichhörnchen fragen.«
    Um sie abzulenken, vertiefte sich der Bischof wieder in die Bilder, und seine Konzentration wurde belohnt, als er auf einem Bild,

Weitere Kostenlose Bücher