Das Bett
und auch das berühmte Fresko des Tiepolo in Würzburg sei unversehrt aus den Bombennächten hervorgegangen, lächelte Stephan lahm und erzählte eine Geschichte vom Lehrer Rebbert mit den zu kurzen Hosenbeinen, dessen Klassenausflügen nach Würzburg er stets mit Glück und Geschick entkommen sei. »Mit dem Auto nach Würzburg«, rief meine Tante entzückt und etwas voreilig, denn Stephan war noch keineswegs von diesem Plan überzeugt.
Er hatte schließlich bisher sein kostbares Vorhaben so häufig wie möglich verfolgt, nämlich im Bett der Agnes zu liegen, und es gab bisweilen dringendere Angelegenheiten als einen Ausflug nach Franken, die er absagte oder auf die lange Bank schob, um das Bett der Agnes nicht unnötig leer stehen zu lassen. Dies Bett war längst zu einem Lebewesen für ihn geworden. Die stramm aufgeschüttelten Kopfkissenzipfel streckten ihm ihre Spitzen wie die Arme einer dicken Amme entgegen und sehnten sich danach, ihn kühl zu umschließen.
Obwohl Agnes, seitdem sie wußte, daß Stephan ihr Bett täglich benutzen würde, mit der Bettwäsche einen größeren Aufwand trieb, als sie es für sich selbst gewohnt war, entstieg den Polstern stets ein zart muffiger Geruch, der Stephan anzog, wie es sonst nur der Duft eines geliebten Menschen vermocht hätte. |58| Agnes war für Stephan zur Kupplerin ihres Bettes geworden. Sie hütete diesen Schatz, wie es Frauen tun, die sich darauf spezialisiert haben, männliche Kunden bei der Befriedigung ihrer erotischen Wunschträume zu unterstützen, indem sie ihnen junge Mädchen zuführen, und in deren Umgebung die Welt umgekehrt zu sein scheint: Die abstrusesten Wünsche werden aufmerksam entgegengenommen wie etwas, das billigerweise jedermann öffentlich fordern und gestehen dürfte. Bürgerlicher Anstand und Sitte sind keineswegs aufgehoben, Vertrauen und Diskretion haben ihren Wert nicht verloren, sondern zählen eher noch höher als draußen, und zugleich ist für die Kunden und Besucher alles das selbstverständliche Wirklichkeit, wofür sie draußen mit dem Verlust ihrer bürgerlichen Reputation bezahlen müßten. Das ist die Wirklichkeit des Traumes, die gerade dadurch beglückend oder quälend wird, weil sich in ihr das alltägliche Leben unlösbar vermischt mit den verführerischen oder bedrohlichen Ausgeburten unserer Phantasie. Weil sie nicht unverbindliche Geschichten sind, sondern uns selbst zustoßen, behaupten die Traumbilder in unserem Leben ihre Macht.
Stephan allerdings träumte nicht im Bett der Agnes, denn er schlief nicht, sondern er hielt die Augen geöffnet und richtete während der langen Stunden seine Sinne auf die Beobachtung der Gegenstände in dem kleinen Zimmer. Selten beschäftigte er sich mit seinen Akten, und ebenso selten sprach er mit Agnes, die an seiner Schweigsamkeit keinen Anstoß nahm. Sie selbst wandte sich nur an ihn, wenn ihr beim Lösen der Kreuzworträtsel, dem sie sich ebenso rastlos widmete, wie die Parzen in ihrer Höhle im Erdinnern das Spinnen betreiben, ein Wort fehlte, und Stephan, der auf ihre kurzen Fragen brav »Rio« oder »Volt« antwortete, hatte tatsächlich immer, wenn sie ein Kreuzworträtsel ganz ausgefüllt hatte, das unbehagliche Gefühl, das Schicksal eines Menschen sei besiegelt worden. Solche Empfindungen trübten indessen nicht das Wohlgefühl, welches das Liegen in Agnes’ Bett seinem Körper schenkte. Es erfüllte nach einigen Stunden auch seine Seele, und er begriff, daß er zwar einen gesunden Körper besaß, das Bedürfnis, in diesem Bett zu liegen, sich seiner |59| Seele aber derart massiv eingeprägt hatte, daß man eigentlich schon von einem physischen Bedürfnis sprechen mußte, wie auch der Einsiedlerkrebs nach den Gesetzen der Natur dazu verpflichtet ist, seinen nur teilweise gepanzerten Leib in einer leeren Muschel zu verbergen.
Erst wenn sich Stephan nach dem Abendessen ein wenig wundgelegen hatte und keine Stellung des Körpers mehr das alte Behagen erneuern konnte, begann das Liegen in Agnes’ Bett an Reiz zu verlieren, zumal um diese Zeit auch eine lästige Hitze unter der Decke entstand, und zwar selbst dann, wenn Agnes, die er ja nicht im Kalten sitzen lassen konnte, kurz lüftete und der naßkalte Wind des Dezembers eine ungemütliche Stimmung im Zimmerchen verbreitete. Agnes stand auf und seifte einen Waschlappen ein. Dann wischte sie Stephans Gesicht und auch den kahlen Teil des Schädels mit energischen, einreibenden Bewegungen ab. Stephan hielt dabei die Augen
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