Das Bett
Residenz der Fürstbischöfe und Herzöge von Franken.
Nur zögernd verließen wir das Auto. Der Horror vacui des Platzes saugte uns dann in verschiedene Richtungen, als ob der Platz die Gelegenheit ergreifen wolle, uns möglichst so auf ihm zu verteilen, daß er belebt aussähe, auch wenn eine so eingefrorene und geisterhafte Belebung dabei herauskommen würde wie auf den Bildern Carpaccios: traumverlorene Einzelwesen, die auf den weiten Marmorflächen atelierhafte Stellungen einstudieren.
Meine Mutter ging einige Schritte mit ihrer Schwester, mein Vater ging allein in die andere Richtung, Stephan und ich strebten |66| vorsichtig dem Portal zu, der Chauffeur blieb rauchend beim Auto, dessen Türen offenstanden, um uns, wenn wir fliehen müßten, schnell aufnehmen zu können. Dann änderte sich die Konstellation: Plötzlich war ich bei meinem Vater, meine Tante bei Stephan, und meine Mutter stand bei dem Chauffeur, um sich dann kurz entschlossen ins Auto zu setzen. Mein Vater begann, mir die Architektur des Palastes zu erklären: Er wies auf den Corps de logis, auf die Seitenpavillons, er nannte die Risalite und die Kartuschen auf dem Dach, und er zeigte mir die Stelle, wo vor vielen Jahren einmal das prächtige eiserne Gitter die Schloßfreiheit abgeschlossen hatte. Er war nicht irritiert durch das Ausmaß der Zerstörung, durch die Bretter, mit denen die hohen Fenster zugenagelt waren, durch die schwarzen Steine, die Zeugen des großen Brandes, durch die Schäden an den Steinmetzarbeiten, die zerbrochenen Kapitelle, die verstümmelten Masken, durch die trostlos verrammelten Türen, sondern er zeigte mir die Anlage, als sei sie nur auf einem großen Plan aufgezeichnet, besser noch, als sei ihr Plan als Einfall eines großen Künstlers unvergänglich, wichtiger als der augenblickliche Zustand des nach ihm errichteten Baues. Ob der Bau glänzend dastand oder ob er sich dann als Ruine präsentierte, war gleichviel vor der höheren Vollendung des Planes.
In der Mitte des Schlosses hinderten uns Holzzäune weiterzugehen, hier, so erklärte mir mein Vater, verberge sich das schöne Fresko, das die Bomben glücklicherweise nicht getroffen hätten, wie er gelesen habe; um alles andere sei es nicht so schade. Er wirkte zufrieden bei seinen Worten, wie der Gläubige, der weiß, daß das Allerheiligste im Altar eingeschlossen ist, nicht mehr den Wunsch hat, es zu sehen.
Wir drehten uns um. Weit von uns entfernt lag die Häuserzelle, die ebenfalls schwer beschädigt den Platz abschloß. Der Kopf meiner Mutter war im Fond des Autos sichtbar, dessen Türen jetzt geschlossen waren. Auch der Chauffeur saß wieder drin und sprach sicherlich mit ihr.
In der Nähe der Schloßkapelle standen Stephan und meine Tante. Sie hatten offenbar einen kleinen Disput, denn Stephan |67| hatte seinen Mantel ausgezogen und versuchte, ihn meiner Tante um die Schultern zu hängen. Meine Tante wehrte ihn ab, wahrscheinlich hatte sie sich vorher über die Kälte beklagt, bekam aber nun einen Heidenschreck vor Stephans selbstverständlicher chevaleresker Geste. Stephan ging rechts um sie herum, dann links, sie hob die Hände, um sich vor ihm zu schützen, sie zog den Kopf ein, stieß ungeschickt mit der Hand an ihren Hut, der herunterfiel und von dem Wind getragen über den Platz davonrollte. Wie die Schulkinder liefen die beiden hinter ihm her, der durch seine schnellen Drehungen und Bewegungen in der Luft aussah wie ein sich beständig in Größe und Form veränderndes Tier. Der Wind war das Leben, das diesem Gebilde von der Hand einer Putzmacherin, dessen Entstehung mehrere Vögel hatten geopfert werden müssen, wieder eingehaucht worden war. Meine Tante war dem Wind gewiß dankbar, weil er den Hut forttrug und man ihm sofort nachlaufen mußte, und ihre ungraziöse Ungeschicklichkeit, mit der sie ihn sich selbst vom Kopf gestoßen hatte, bei Stephan, der ihr jetzt half, den Hut wiedereinzufangen, in Vergessenheit geriet. Im Laufen stießen sie gegeneinander, Stephan rief: »Hilfe, der Deckel kriegt Beine«, und meine Tante, die sicher anfänglich sehr verwirrt war, lachte im Laufen und fiel beinahe über einen hervorstehenden Pflasterstein.
Ich wollte mich auch auf die Jagd nach dem Hut begeben, aber mein Vater hielt mich zurück und sagte, wir sollten noch einmal versuchen, in die Schloßkapelle hineinzusehen. Stephan und meine Tante waren fast auf der Mitte des Platzes angelangt, wo sich der Hut in den Gittern des großen Brunnens gefangen
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