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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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geschlossen und bewegte den Kopf, wie Agnes es verlangte, um ihre erfrischende Reinigung zu vollenden. Das war die Stunde des Abschieds. Sie fiel ihm nicht schwer, weil der Genuß für diesen Tag ausgeschöpft war.
    Nichts war für Stephan in den Augenblicken des morgendlichen Wiederkommens spannungsvoller und erregender als das lockend zurechtgemachte Bett. Konnte ein Liebhaber, seine schon völlig nackte Freundin vor Augen, sich zielbewußter ausziehen als Stephan, der das Bett bei keiner Bewegung aus den Augen ließ und sich doch eine berechnende Langsamkeit und Sorgfalt auferlegte?
    Hinter ihm stand die still mit dem Entgegennehmen und Weghängen der Kleider beschäftigte Agnes, die ihm erst die Jacke, dann die Hose eines frischen Pyjamas reichte.
    Das Eintauchen in die große weiße Tasche war von einem Glücksgefühl begleitet, dessen Ausmaß er fast bedauerte, weil es seine Sinne überforderte, die doch alles wahrnehmen sollten, was dieses Glück in der Erinnerung dauerhaft machte. Während er sich wehrlos dem Bett preisgab, beugte sich Agnes über ihn, stopfte das Plumeau rings um ihn fest und schob ihm noch ein |60| zweites flaches Kissen unter den Kopf. Stephan zog Agnes’ Plumeau in seiner wolkenhaften Unfaßbarkeit seiner weinroten Seidensteppdecke in New York weit vor. Das einzige, wozu diese Steppdecke taugte, war, sie zu betrachten, wenn der Schein der Nachttischlampe mit ihren Farben spielte und alle Töne, die in einem Bordeaux-Glas leuchteten, über die glitzernde Bettdecke liefen, vom frischen Herzblutrot bis zum samtigen Schwarz des feinen Bodensatzes. Aber das Feststecken, das aus dem in ihr gefesselten Körper eine Mumie machte, war mit einer Steppdecke nur für ärgerlich kurze Zeit möglich, und Stephan erinnerte sich an die peinigenden Minuten des Wartens, in denen er stocksteif dalag und doch wußte, daß sich die festgestopfte Decke nun bald wieder lösen würde, weil sie so rutschig war, daß selbst leichte Atemzüge, die den Brustkorb hoben und senkten, sie wieder in ihre ewige Bewegung versetzten.
    Agnes’ Plumeau, das aufgeblasen war wie ein Luftballon, wurde hingegen von ihrer geschickten Hand zurechtgeschüttelt und -gebeutelt. Die Federlasten in ihm waren schließlich so verteilt, daß sie das Plumeau für Stunden fest um seinen Leib hielten, ohne daß er sich ein besonderes Stillhalten auferlegen mußte.
    In dieser äußeren Ruhe entfaltete sich sein Geist zu den vergnügtesten Spielen, und alles, was zu seinen Volten und Sprüngen sonst noch erforderlich war, bezog er aus den die Stille nicht unterbrechenden, sondern noch vertiefenden kleinen Geräuschen, die Agnes machte: ihr Herumtappen, Niedersitzen, Füßescharren und das leise kratzende Geräusch ihres Stiftes in den Kreuzworträtselheften.
    Stephan befand sich derweil im Inneren der Pyramide und spielte mit den Pharaonen Zankpatience, oder er war auf die wohligste Weise vom Schnee verschüttet und rührte sich nicht, damit ihn die draußen herumschnüffelnden Bernhardiner nicht fänden. Am schönsten war, wenn sich das Bett schließlich von der Stelle bewegte, durch das kleine Zimmer fuhr und zum Fenster hinausflog wie ein Segelflugzeug, geräuschlos und frei.
    Unter ihm lag das Meer, dann wieder große Städte, Frankfurt |61| war zwar zu erkennen, aber ob vor dem Krieg oder danach, konnte er aus dieser Höhe nicht ausmachen. Die Häuser von New York waren spielzeugklein, und vom Haus seiner Eltern war überhaupt nur der türkisfarbene Swimmingpool zu sehen, vielleicht war es auch der vom Nebenhaus. Über Frankreich erreichte er besondere Höhe, er sah das ganze Land wie die Photographie eines Wettersatelliten unter sich, wie auf der Landkarte, und konnte überhaupt nur noch ahnen, wo Narbonne gelegen hatte und wo Nizza lag, er mußte sein geographisches Wissen zusammensammeln, um wenigstens ungefähr auszumachen, wo er im Krieg gewesen war, und selbst als er hoffen konnte, sicher zu sein, war an der von ihm vermuteten Stelle keine Stadt zu sehen, in der Menschen lebten, in der Menschen Angst hatten und starben, und das war aus dieser Höhe auch nicht verwunderlich.
    Der Ausruf meiner Tante gab trotzdem den Ausschlag bei dem schwankenden, an das Bett der Agnes denkenden Stephan, meine Familie zu einer Reise – allerdings von nur einem Tag – nach Würzburg aufzufordern, obwohl meine Tante nichts weniger damit beabsichtigt hatte. Es war ihr gar nicht in den Sinn gekommen, daß irgendein Mensch daran denken könnte, sie zu

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