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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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einer derart aufregenden Sache mitzunehmen, in einem großen Auto über die Landstraßen zu brausen, wo die mageren Apfelbäume standen, durch die Dörfer, wo die Frauen, die auf Kissen gestützt aus den Fenstern lehnten, dem teuren Wagen noch nachgucken würden, wenn er schon längst hinter dem Friedhof verschwunden war, irgendwo auf freiem Feld anzuhalten und den Picknickkorb zu öffnen, nach der Rast sich einer fremden großen Stadt zu nähern und all die Gebäude anzusehen, deren Bilder in den Blauen Büchern abgedruckt waren, in dem ›Heiteren Barock‹ und dem ›Jubelnden Rokoko‹. Ihre Phantasie war schon wieder größer als ihre Schüchternheit geworden. Sie sah vor sich die schöne Unternehmung, zu der Stephan überredet werden sollte, und sie war glücklich, daß Stephan etwas tun wollte, was zu niemandem so gut paßte wie zu ihm. Stephan hingegen hatte ihren Ausruf als eine flehende Bitte verstanden, doch ja nicht einer solchen Unternehmung im Wege zu stehen. Er fürchtete |62| den flehenden Ton bei Frauen, denn er bildete sich ein, er könne jeden Augenblick in ein nervöses Weinen umschlagen; sein ganzes Leben lang hatte er vor diesem Flehen kapituliert, um Schlimmeres zu verhüten. Es war nicht Mitleid, was er beim Anblick einer weinenden Frau empfand. Weibliche Tränen waren nicht ein Appell an eine instinktive Neigung seiner Seele, die sich im Beschützen der scheinbar Schwächeren gefällt und die wir männlich zu nennen uns gewöhnt haben, sondern es war die Panik, von der die Alten glaubten, daß der Anblick der Meduse sie auslöse.
    Das Gesicht einer Frau, die sich weinend ihrer Nervosität, ihrem Schmerz, ihrer Wut oder ihrer Erschöpfung hingibt, mag ihn an die unbesiegbare Obermacht des weiblichen Gefühls gegenüber dem männlichen erinnert haben, und wenn seine ahnungsvolle Überzeugung, daß in jeder weinenden Frau etwas von dem antiken Ungeheuer stecke, zutraf, dann tat Stephan recht daran, wenn er sich in Sicherheit brachte, denn er mußte sich sehr schonen.
    Meine Eltern bemerkten, daß Stephan von meiner Tante umgestimmt worden war, und wechselten Blicke, weil sie Stephans Sinneswandel vollständig anders deuteten. Meine Mutter erwog bereits in Gedanken, meiner Tante die Mitfahrt auszureden. Sie war nicht eigentlich dagegen, daß ihre Schwester sich ein wenig vergnügte und Bekanntschaften machte, aber sie glaubte, daß älterer weiblicher Verwandtschaft grundsätzlich die Aufgabe des Ausredens und Verhinderns allzu lustiger Liaisons zukäme, und sie wäre sich pflichtvergessen vorgekommen, wenn sie nicht versucht hätte, meiner Tante zarte Träume zu vergällen.
    Mein Vater sprach einstweilen über Tiepolos Treppenhausfresko in der Residenz und erzählte, daß darauf die vier Weltteile abgebildet seien: Europa, Afrika, Asien und Amerika. »Es gibt doch fünf Erdteile«, sagte meine Tante und sah Stephan an. Stephan lächelte verlegen und sagte: »Ei, der konnte eben keine Känguruhs malen.« – »Die haben es sich damals auch leicht gemacht«, sagte meine Mutter, die Vorstellung des Unvermögens vergangener Zeiten begrüßend. Auch meine Tante |63| war über das Ausmaß der Unwissenheit und der Ahnungslosigkeit der alten Tage erschüttert. Mein Vater, der listig über Stephans Antwort gelacht hatte, sagte dann zu ihm: »Im Grunde ist Australien ja auch gar kein Erdteil. Ein Erdteil ist schließlich eine geistige Größe und nicht ein Stück von Neuzugezogenen bewohnte Wüste im Pazifik.« Das verstand Stephan nun wieder nicht, der als einziger von uns in Australien gewesen war und das Land lobte, nicht sehr enthusiastisch freilich, denn er fügte hinzu, daß er die längere Zeit seines Aufenthalts habe im Bett zubringen müssen, unsereiner vertrage die Hitze nicht, er könne nur abraten.
    So brachen wir denn einige Tage später auf, aus Rücksicht auf Stephans Pflichten in seiner Fabrik an einem Sonntagmorgen, an dem uns Stephan mit seinem Auto zu Hause abholte. Mein Bruder blieb zurück, wohlbewacht und neugierig unsern Auszug betrachtend, den er erst laut zu beklagen begann, als die Tür sich hinter uns geschlossen hatte und er darangehen mußte, seine Wächterin zur Räson zu bringen.
    Die angeregte Stimmung, in der wir uns befunden hatten, als wir losgefahren waren, war verflogen, als wir nach einigen Stunden Fahrt in Würzburg eintrafen. Durch die Enge im Wagen gelähmt und betäubt, war ich bald nach der Abfahrt eingeschlafen und erwachte erst, als wir auf einem großen,

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