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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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die vielleicht keine Zeit bliebe, wenn sie alle Paramente durchsähe, abhalten könnten. Jedes Gewand schien ihr nach dem Zipfel, den sie zu sehen bekam, verlockender zu sein, die Stoffe wurden seltener, es zeigte sich, daß das hellblaue, das durch seinen exotischen Zauber gewirkt hatte, mit den späteren nicht Schritt halten konnte.
    Plötzlich machte der Küster eine Kunstpause. Er sah meine Mutter mit einem Lächeln auf seinen dünnen Lippen an wie ein Zauberkünstler, der seinen Trick schon unzählige Male vorgeführt hat und nun in ein Publikum schaut, das er noch niemals gesehen hat und von dem er dennoch weiß, daß es sich genauso |213| verhalten wird wie alle anderen Zuschauer zuvor. Dann griff er in die Falten der enggedrängten Stoffe und holte einen Stoff hervor, von dem meine Mutter zunächst nur ein Rosa erblickte. Ohne ihre Wünsche abzuwarten, holte er den Rauchmantel, zu dem der Zipfel gehörte, heraus. Und tatsächlich war er die Krönung der Sammlung, und es war verständlich, daß meine Mutter die Hände danach ausstreckte und statt Worten der Bewunderung nur zeigte, daß sie dies einzigartige Material berühren müsse. Nie hatte sie einen Stoff gesehen, der zugleich wie dünn gewalztes Metall und wie menschliche Haut aussah. Der Küster auf seiner Leiter tat einen Schritt hinunter zu meiner Mutter. Er hielt das schwere Gewand, über das meine Mutter mit gespreizten flachen Händen in sprachlosem Staunen hin und her fuhr, seinen reichen, in Goldspitze gefaßten Saum aufnehmend und zärtlich sein Gewicht prüfend. Streublumen schmückten das Rosa, weiße Margeriten, himmelblaue Kornblumen und dunkelrote Beeren, die in kleine, zufällig wirkende Sträuße gebunden waren. Feldwege und Vogelbeerhecken wurden auf diesem kunstvollen Gespinst beschworen. »Wußten Sie nicht, daß die großen Damen früher ihre Kleider für Meßgewänder gestiftet haben?« fragte der Küster meine Mutter. »Das hier ist früher einmal ein Ballkleid gewesen.« Meine Mutter war nicht überrascht. »Das muß wundervoll fallen«, murmelte sie. Sie war abwesend, als sei sie in ein anderes Jahrhundert versetzt. »Wie das fällt, können Sie gleich sehen«, sagte der Küster immer noch lächelnd. Er stieg die Leiter herunter und legte meiner Mutter den schweren Rauchmantel um die Schultern. Sie sah ihn lächelnd an, als er hinter ihr hervorkam, aber sie wehrte sich nicht, sondern hielt sich unter dem großen Gewicht des Mantels kerzengerade. Die Sonne schien schräg durch die gelbgefärbten Scheiben der Sakristei, in ihrem Strahl stand meine Mutter mit ihrer leicht bombierten Stirn, ihren rotgemalten Lippen und dem königliche Würden verheißenden Mantel. Sie drehte sich langsam, um den schönen Fall der Seide ganz auszukosten, und ihr Gesicht, das zunächst spöttisch ausgesehen hatte über den Einfall des Küsters, zeigte so sehr, welche Lust ihr das Gewicht dieser märchenhaften Seide |214| bereitete, eine Lust, die jedes Bedenken angesichts der Situation gar nicht erst aufkommen ließ, daß es mehr und mehr dem Kopf eines alten Gnadenbildes glich, dessen Körper zum Patronatstag der Wallfahrtskirche mit einem barocken Ornat geschmückt wird.
    Sympathie war es, was meine Mutter den Gewändern gegenüber empfand, die die Priester aus Anlaß der geistlichen Zeremonien anlegten, sie standen ihr nahe, sie fühlte sich ihnen verwandt. Anders als mit den Meßgewändern ging es meiner Mutter mit den Soutanen und den hochgeknöpften schwarzen Westen, die die Priester am Werktag trugen, wenn sie für meine Mutter jeglicher Würde und Autorität entkleidet waren. Plötzlich erschien ihr die Tatsache, daß ein Mann einen bodenlangen Talar trug, als Ausbund der Lächerlichkeit. Aber deshalb kamen die Priester, die sich zu einem unauffälligen schwarzen Anzug mit normalen Hosen entschlossen hatten, nicht besser weg. Sie munkelte, ohne ihre Vorbehalte eigentlich zu präzisieren, von den Eindrücken, die den frommen Büglerinnen geschenkt wurden, wenn sie sich mit den ehrwürdigen Beinkleidern befaßten. Die Priester waren ihr zu nahe gekommen, als daß sie noch Ehrfurcht vor ihrer Person hätte empfinden können. Sie wollte sie nicht sehen, nicht hören und nicht riechen. Als bei der Neuweihung des Mainzer Doms ein päpstlicher Prälat mit allem offiziellen Gepränge an ihr vorüberzog, war sie voll Achtung und spürte sogar einen gewissen Stolz, ein Schäfchen dieser Herde zu sein. Aber ein intimes Gespräch, in dem sie sich ratsuchend

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