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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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grauen Einerlei zum äußersten getrieben. Die Kahlheit des Korridors unterschied sich von allem, was sie sonst an kunstvollen Inneneinrichtungen erlebte. Sie selbst ging in ihren Ansprüchen vielen ihrer Freunde voran und schwärmte von haifischhautbezogenen Schminktischen und pergamentbespannten Speisezimmern, und was sie hier sah, war weiß Gott ein anderes Genre. In diesem grauen Korridor leuchteten dennoch Farben auf, scharf wie die Blutstropfen, die Parzival im Schnee sieht und |217| die den Helden in Trance versetzen: Es war der hellrote Seidenpompon auf dem Birett des Geistlichen, der ein Stück römischen Kirchenpomps in die muffige Junggesellenwohnung brachte und der auf der Hutablage neben der Baskenmütze leuchtete. Ines war mit diesen Umständen schon im vorhinein solidarisch, sie war bereit, alles, was ihr auf ihren Ausflügen in die Welt des Geistes begegnete, vorbehaltlos zu bewundern, und sie hatte bereits eine feine Sensibilität entwickelt, daß sie an der falschen Adresse war, wenn es in der Wohnung eines Gelehrten etwas gab, das sie an ihre eigene Welt erinnerte, weil man es hätte elegant nennen können.
    Wenn sie kurz vor der Tür des Arbeitszimmers stand, wurde sie meist von innen aufgerissen. Die große Gestalt des Geistlichen füllte die Tür aus. Er schickte mit einer Handbewegung die schlampige Haushälterin weg, ergriff Ines’ Hand mit beiden Händen, als ob er sie daran hindern wolle, die seine zu küssen, und er verband diese Begrüßung mit einem Hineinziehen des Gastes in sein Zimmer. Er ließ Ines erst wieder los, als sie schon vor dem schwarzen Rauchtischchen stand und unweigerlich über den Wachstuchsessel gestolpert wäre, wenn er weiter an ihrer Hand gezogen hätte. Bücher bedeckten die Wände, Bücher stapelten sich auch auf dem klobigen, schweren Schreibtisch, weitere lagen auf dem Boden und den Sesseln, und diese unruhige Arbeitslandschaft wurde von einer braungeäderten Glasschale, die an drei Schnüren von der Decke hing, mit einem gleichmäßigen, düsteren Licht übergossen. An die religiöse Bestimmung des Hausherrn erinnerte ein einziges Kunstwerk, oder jedenfalls eine Photographie davon: Die ›Kreuzabnahme von Avignon‹ hing über der Heizung an der einzigen Stelle, an der man kein Bücherregal aufstellen konnte.
    Ines war glücklich über die Disziplin, mit der der geistliche Dichter die Grenze zwischen ihnen aufrechterhielt. Er hatte ihr bei ihren Besuchen niemals auch nur ein Glas Wasser angeboten und war doch, wann immer er die Villa Wafelaerts betrat, reich bewirtet worden. Er trank sicher eine Kanne Kaffee allein. Die letzte Tasse, in der sich noch ein Rest mit Milch vermischtem |218| Kaffee befand, hielt er ihr mit beiläufigem Ernst hin, ohne ein Wort zu sagen, und sie beeilte sich, sie mit Kaffee so weit aufzufüllen, bis er mit Handzeichen befahl, es sei genug. Er hatte dann eine ganz bestimmte Handbewegung, den alten, milchigen mit dem frischen schwarzen Kaffee schwenkend zu mischen, daß Ines sich diese Bewegungen schon längst eingeprägt hatte und doch nicht erklären konnte, woher sie stammten, denn sie schenkte bei ihren seltenen Besuchen der Sonntagsmesse den liturgischen Vorgängen nicht die geringste Aufmerksamkeit, sondern blätterte während der ganzen Zeit in einem köstlichen alten Meßbuch mit vielen bunt leuchtenden, seidenen Lesezeichen, einem Erbstück ihrer belgischen Großmutter, ohne Aussicht, die Messe des betreffenden Sonntags zu finden. Deshalb hatte sie nie gesehen, wie der Monsignore sich nach der Communio zur Reinigung des Kelches, in dem noch Blut Christi zurückgeblieben war, etwas Wasser und Wein von den Ministranten nachschenken ließ, mit einem Zeichen schweigend Halt gebot, dann den neuen Wein schwenkend mit dem Blut vermischte und die Mischung in einem Schluck austrank. Vielleicht hätte es sie auch gestört, daß bei ihrem priesterlichen Freund die ekklesiastischen Eierschalen bis in seine Tischmanieren hinein hängengeblieben waren. Sie suchte in ihm den Dichter, den Weltweisen, und sie hatte die Grenzen dessen, was sie ohne zu erröten mit ihm besprechen konnte, zu ihrem eigenen Erstaunen schon weit hinausgetrieben, und er war ihr auch immer wieder entgegengekommen, wenn sie glaubte, zu weit gegangen zu sein. Es kam oft vor, daß der schwere Mann, während sie sprachen, ihre Hand, die er nach der Begrüßung hatte fahrenlassen, wieder ergriff und ihr dann in die Augen sah, wobei ihr ganz aufgeregt zumute wurde. Sie

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