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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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wußte, daß es vollkommen deplaziert war und keinesfalls in den Intentionen ihres Freundes lag, daß sie ihn in einer solchen Situation auf den Mund küßte. Aber sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut, weil ihr das einzige Mittel, mit dem sie sich bei einem anderen Mann in solcher Lage aus der Affäre gezogen hätte, in diesem Fall verboten war. Auch Ines versuchte in ihrer Verzweiflung, wild und intensiv auszusehen. Sie war von dieser Anstrengung |219| nach jedem Besuch gezeichnet, wie von dem Aufenthalt in einem irisch-römischen Dampfbad: Es erschöpfte sie über die Maßen, aber nachdem sie sich ein Weilchen hingelegt hatte, tat es ihr besonders gut.
    »Ach, ich bin ja gar kein Dichter«, empfing sie der Monsignore, kurz bevor Korns ihre Koffer packten übrigens. Es war die unbestimmte Sorge um die Freunde, die Ines diesmal zu ihm geführt hatte. Wieder fand das Hineinziehen in sein Zimmer statt, für Ines längst vertraut und geschätzt, aber diesmal ließ er ihre Hand nicht los und begann sofort, nachdem sie sich gesetzt hatten, wo das Rauchtischchen ihnen als einzigen Komfort einen sinnlosen Aschenbecher bot, weiterzusprechen: »Ich habe es jetzt erfahren, ich bin kein Dichter, die Worte hassen mich, sie verspotten mich, sie führen höhnische, verwirrte Tänze auf, um mich zu demütigen, weil ich mich an ihnen vergriffen habe!« Er ließ sein gewaltiges Haupt auf ihre beiden ineinander verschlungenen Hände sinken. Ines war auch von seiner Seite Geständnisse gewöhnt, sie war erschüttert, vermochte aber dennoch, die Klage des Freundes richtig einzustufen.
    Die Liebe des Monsignore zur Literatur hatte tragische Züge. Das hieß nicht, daß sie ohne Erfolge blieb. Der Monsignore schrieb Gedichtband um Gedichtband und brauchte sich seines Werkes nicht zu schämen, denn eine kleine, aber erlesene Schar nahm jedes Jahr beglückt ein solches Bändchen aus seinen Händen entgegen. Ines konzentrierte sich vor allem auf seine Lesungen, denn sie behauptete: »Seine Gedichte muß man
hören
, sie sind die reine Musik. Glauben Sie mir, ich habe alle seine Bände zu Hause, aber ich schlage niemals einen auf. Ich lese sie nicht. Ich muß sie
hören
.« Der Monsignore, der diese Ansicht selbstverständlich nicht teilte, stand jedoch allen Spezialerleuchtungen, die Mitgliedern seines Zirkels gewährt wurden, gnädig gegenüber. Er hatte selbst erfahren, wie sehr die Einblicke in das Reich der Poesie Gnadengeschenke waren, die gerade ihm verzweifelt selten gewährt wurden. Wenn er sich dann schließlich ganz verdurstet und von allen poetischen Gaben für immer ausgeschlossen fühlte, kam es vor, daß er Ines sein Herz öffnete und Klagegesänge anstimmte, |220| die von großer Hoffnungslosigkeit erfüllt zu sein schienen, Ines dabei dennoch sehr schön vorkamen. »Es ist die Halbheit, für die ich Buße tun muß«, seufzte der Monsignore mit einer Stimme, die nicht mehr seine eigene war, weil die Laute, die aus seinem Mund drangen, sich erst durch die verschränkten Hände auf dem Rauchtischchen hindurcharbeiten mußten, bis sie, frei im Raum schwebend, auch Ines’ Ohr erreichten.
    Als sich der Monsignore aufrichtete, war er sein eigener Richter geworden. »Gewogen und zu leicht befunden«, sagte der Geistliche mit einer Sachlichkeit, hinter der sich ein nihilistischer Triumph nur mühsam verbarg. Nach diesem Satz schien es ihm ein wenig besserzugehen.
    Er ließ Ines’ Hand los, stand auf und räumte ein paar Blätter, die auf dem Schreibtisch lagen, mit dem Gleichmut eines Beamten zusammen, der auch bei einer schwierigen Aufgabe weiß, daß die Arbeit ihm nicht wegläuft, und deshalb zu jedem beliebigen Zeitpunkt unterbrochen werden kann. Ines kannte diese raschen Stimmungsumschwünge. Sie hoffte, daß ihre Gegenwart ein wenig dazu beitrug, und ließ ihre Hoffnung in Gesprächen mit anderen eifersüchtigen Mitgliedern des Zirkels sogar zur Gewißheit werden, indem sie oft sagte: »Er ist halt furchtbar einsam, der arme Mann. Da tut es ihm gut, wenn er sich manchmal mit mir ausspricht.«
    Ines hielt überhaupt gern die Legende aufrecht, daß sie von Zeit zu Zeit für den Monsignore sorge, so vor allem in der Zeit, als Agnes ihn verließ, die mit penibler, allerdings auch feindseliger Sorgfalt seinen Haushalt versehen hatte. Sie verfolgte ein Prinzip, unter dem ihr Dienstherr besonders litt, Bücher nämlich nach der Größe, nicht aber nach inhaltlichen Gesichtspunkten, die ihr sämtlich beliebig erschienen, zu

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