Das Bett
an einen Geistlichen wie etwa den Monsignore hätte wenden müssen, war ihr zutiefst suspekt.
Gerade ein solches intimes geistliches Gespräch, natürlich außerhalb des Beichtstuhls, war das ganze Vergnügen von Ines Wafelaerts. Ines liebte es, für alle Angelegenheiten einen Spezialisten zu haben, der sich sehen lassen konnte. Sie war fasziniert, wenn der Professor, der sie mit einem Handkuß in sein Ordinationszimmer gebeten hatte, ernst blickte, wenn sie ihm die Symptome ihres kleinen Katarrhs schilderte, wenn er dann, während entzückte Schauer ihren Rücken hinunterliefen, ihren |215| zarten Kopf in seine Hände nahm und ganz sachte mit dem Fingerknöchel auf die Stirn klopfte, um am Echo aus dem verwinkelten Schädelinnern feststellen zu können, ob Ines eine verstopfte Nebenhöhle zu beklagen hatte. Sie verstand nie, wie ein Mann, der eben noch ihren zur Lust geborenen Körper im Ganzen betrachtet hatte, sich mit einem Schlag während der Untersuchung eines bestimmten Teils, der weh tat, dermaßen seriös verhalten konnte. Auf einmal war sie nicht mehr als eine anonyme Kranke, die zu Demonstrationszwecken auf einem Wagen in den Hörsaal gerollt wird. Glücklicherweise dauerten die Untersuchungen nicht lange, weil Ines niemals schwer krank war, und schon während sich der Ordinarius seine sensiblen Hände wusch, begann ein Gespräch zwischen ihm und seiner Patientin. Ines hatte zu diesem Zeitpunkt schon so viel Aufregendes erlebt, daß sie mit Munterkeit und Geist glänzen konnte. Es fiel ihren Ärzten immer schwer, sie wieder loszuwerden, denn dies Gespräch nach der schonungslosen Rekognoszierung ihres Körpers war für sie der wichtigste Bestandteil ihres Besuchs beim Spezialisten. Auch Florence hatte einmal zu den Spezialisten gehört, oder besser Willy Korn, bevor Ines eine über dieses Spezialistentum hinausgehende Freundschaft mit der Familie schloß. Willy beriet sie damals in allen Angelegenheiten, die die Pneus ihres Rennwagens betrafen, und stattete sogar einmal den ganzen Wagen kostenlos aus, freilich mit Produkten aus dem eigenen Werk, die Ines’ Monteur aus Geheimgründen, deren Schlüssel vermutlich unter der Todeskurve der Rennbahn von Monte Carlo vergraben war, als für den internationalen Rennsport völlig ungeeignet erklärte.
In allen Fragen des Seelenkummers, soweit es sich jedenfalls um einen solchen handelte, der sich ins Philosophische ziehen ließ, hielt sie sich an den Monsignore, denn sie schätzte eine Art der Erörterung, die profunder als ihre eigenen geistigen Möglichkeiten war und die sich zugleich auf atemberaubenden Höhen bewegte, so daß für ihre eigene alltägliche Situation wenig dabei abfiel. Ein Mensch wie Ines, der gewohnt ist, ganz aus seinen Instinkten zu leben, wird durch fremden Rat, wie gewichtig er auch |216| sein mag, nur behindert, weil ihn dieser Rat von den eigenen Quellen der Kraft fortlockt und statt neuer, fremder Kraft nur papierene Lebensweisheit anbietet. Ines, die fortwährend bedeutende Menschen um ihren persönlichen Rat anging, fühlte dies Gesetz und dachte gar nicht daran, auch nur einen einzigen davon zu befolgen. Rat einzuholen war für sie eine Prozedur, die dem Besuch einer Festspielaufführung glich: Glücklich empfand sie, daß alle ihre Angelegenheiten von Wichtigkeit seien, danach genoß sie, daß sie genügend wichtige Leute kannte, die ihr helfen konnten. Es gab ein aufregendes Hin und Her wegen der Termine, ein Telegraphieren und Briefeschreiben – schon allein das lohnte den Aufwand, denn da Ines selten ganze Sätze schrieb, waren die Andeutungen, die sie aufs Papier warf, meist bedeutungsvoller als das, worum es tatsächlich ging. Dann war der Tag der Verabredung gekommen, Ines rüstete sich bräutlich und war aufgeregter als zu einem Rendezvous, wenn sie ihren kleinen Hut aufsetzte und ihr Gesicht im Spiegel betrachtete, das sie delikaterweise ungeschminkt ließ, wenn sie den Monsignore besuchte. Einen Rosenkranz um die behandschuhte linke Hand zu winden, versagte sie sich mit Bedauern, weil ihr Rosenkranz mit seinen Achat- und Granatkugeln sehr dekorativ war, sie andererseits aber beim Monsignore als moderne und aufgeklärte Frau auftrat. »Jedenfalls nicht als Betschwester«, sagte Ines leise vor sich hin und gab ihrem Hut den entscheidenden Stoß, so daß die einzelne mephistophelische Reiherfeder in sich zitterte.
Schon wenn sie dann die Wohnung des Monsignore betrat, wurden ihre unbestimmten Erwartungen auf Abenteuer im
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