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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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befreundet war, bei anderen Leuten, die ihr viel näherstanden, durchsetzen sollte. Und doch bedauerte sie die entstandenen Komplikationen, die das Leben so schwermachten, und sie war stolz, eine geniale Formel entdeckt zu haben, die jedenfalls die Korns zunächst noch vom allgemeinen gesellschaftlichen Verdikt befreiten. Sie betonte einfach immer häufiger, daß die Korns ja im Grunde Amerikaner seien, und die Dankbarkeit, mit der diese Version überall aufgenommen wurde, bewies, daß es noch mehr Leute gab, denen es ähnlich ging wie ihr. Diese Sprachregelung machte es Ines auch leichter, die Emigration der Familie harmlos zu nehmen, die an sich ja das Ende jedes gutgemeinten Täuschungsmanövers bedeutete: Nichts war natürlicher, als daß Amerikaner in Amerika lebten; das konnte für freundschaftliche Bindungen schmerzlich sein, war aber kein politisches Alarmsignal.
    |209| Ines Wafelaerts, die sich früher niemals besondere Gedanken über die Juden gemacht hatte, war in den letzten Jahren übrigens nicht nur von der nationalsozialistischen Rassenpropaganda auf diesen Gegenstand aufmerksam gemacht worden. Ebenso wie meine Mutter stand sie in näherer Beziehung zu Monsignore Eichhorn, den sie nicht nur um geistlichen Rat anging, sondern von dem sie sich auch in anderen, ihr unlösbaren Fragen beraten ließ.
    Meiner Mutter wäre es allerdings nicht eingefallen, mit dem Monsignore oder irgendeinem anderen Geistlichen alltägliche Sorgen zu besprechen. Sie stammte aus Köln, ihre Jugend war im Rhythmus des katholischen Kirchenjahres verlaufen. In ihrer Schulzeit war für sie die tägliche Frühmesse eine Selbstverständlichkeit wie das Frühstück. Das Schmücken der Altäre, bei dem die kleinen Mädchen halfen, war nicht geheimnisvoller als das Tischdecken zu Hause, die sommerlichen Prozessionen ähnelten für sie einem festlichen Schulausflug, die Rosenkranzandachten im Mai, bei denen abwechselnd die Leute in der linken und der rechten Seite der Kirche beteten, hatten etwas von den Abzählreimen für Versteckspiel und Nachlaufen an sich, und die Heiligen wurden auf den Wallfahrten zur Muttergottes von Kevelaer oder zur Zahnreliquie der heiligen Apollonia in Bonn besucht, wie wenn man an Fest- und Jubiläumstagen die in Trier wohnende Verwandtschaft mit der ganzen Familie besuchte. Vergangenheit und Zukunft wurden meßbar und für menschliche Gehirne übersehbar, wenn man, indem man am Portiunkula-Tag die Ablässe erwarb, genau erfuhr, wie viele Jahre man durch sein Gebet den armen Seelen im Fegefeuer schon wieder erspart hatte. Geistliches und profanes Leben hatten sich untrennbar ineinander verschränkt. Der Glaube meiner Mutter ruhte auf einem Fundament, das von felsenfester Sicherheit war und das ihr ersparte, zeit ihres Lebens noch einen einzigen Gedanken auf ihn zu verwenden. Andererseits war es ihr aber nicht mehr möglich, einen Geistlichen noch als heiligen Mann zu behandeln. Sie wußte zu genau, wie ein Geistlicher roch, wenn er frisch gewaschen war oder wenn er nach der Fronleichnamsprozession oder auch nach |210| der Weihnachtsgans bei ihren Eltern schwitzte, sie wußte, wie er aß, welche Tabletten er brauchte und welche sprachlichen Marotten er hatte. Sie war noch nicht in dem Schlafzimmer eines geistlichen Herrn gewesen, aber sie hätte schwören können, daß sie wußte, aus welchen Ingredienzien sich eine Atmosphäre zusammensetzte, die sich aus der Verbindung von Askese und schlechtem Geschmack ergab.
    Mit sanftem Spott betrachtete sie das priesterliche Gewand – nicht die liturgischen Gewänder übrigens: Ich sehe sie noch in der Sakristei unserer neugotischen Pfarrkirche stehen, wo ihr der Küster den Reichtum dieser Kirche an Paramenten zeigte. Dieser ungewöhnlich kostbare Besitz rührte daher, daß die erst in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts gebaute St.-Aposteln-Kirche das Erbe eines in der Säkularisation verwüsteten Dominikanerklosters angetreten hatte. So waren in die Schränke der Sakristei einer modernen Gemeindekirche Meßgewänder von sinnverwirrender Pracht geraten, und in den tiefen flachen Schubladen stapelten sich Chorhemden und Altardecken aus edelster Spitze.
    Es war ein stiller Nachmittag, als meine Mutter die Sakristei besichtigte, niemand wollte die Caritas-Sammlung abrechnen, kein Meßdiener sollte unterwiesen werden, der Küster hatte Zeit und freute sich, etwas von den verborgenen Schätzen vorzuführen, die sonst niemals aus den Schränken genommen wurden

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