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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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und wohl eines Tages in einem Museumsmagazin landeten. Der Küster hatte die schnellen und beherrschten Bewegungen, dazu den geschmeidigen, unhörbaren Schritt, den meine Mutter an allen guten Küstern seit ihrer Jugend kannte, dazu die aufgeräumte Ironie, die niemals die Grenzen des Respekts verläßt, und war in diesen Eigenschaften weit mehr als sein Pfarrer der letzte Erbe einer Zeit, in der man noch wußte, daß kirchliches und höfisches Zeremoniell aus derselben Wurzel wuchsen. Es sind die kleinen Leute, die die Sitten der Mächtigen getreu bewahren: Noch Jahrhunderte später, wenn die launische Lebewelt längst schon zwanzigmal ihre Manieren gewechselt hat, findet man bei ihnen in Täschchen und Etuis, in Handbewegungen |211| und Formeln liebevoll konservierte Bräuche, die immer noch Leben besitzen, weil die Kette, die sie mit den alten Tagen verbindet, bisher nicht zerrissen ist.
    Meine Mutter war unfähig, in dem geschmeidigen Küster den byzantinischen Kämmerer zu erblicken, wenn er, im Chorhemd, während der feierlichen Levitenämter ordnende Aufgaben versah, dabei niemals versäumte, vor dem Tabernakel niederzuknien, und es doch so marginal tat wie ein solcher Hofbeamter, der es wagen konnte, dem Kaiser den Rücken zuzuwenden, weil durch seine unfeierliche Geschäftigkeit der Fortgang der strahlenden Zeremonie erst möglich wurde. Wenn meine Mutter ihn seines Amtes walten, wenn sie ihn sich federnd aus Kniebeugen erheben sah und bemerkte, wie er sich blitzartig nach dieser Ehrfurchtbekundung seinen Pflichten zuwandte, faßte sie ihr Unbehagen an seiner Erscheinung in die Behauptung zusammen, der Küster Siebeck sei »päpstlicher als der Papst«, ein Wort, das von ihr auf jeden Menschen angewandt wurde, der sich in der Kirche allzu wohl fühlte.
    Nie hätte sie sich vorstellen können, daß sie jemals beglückt innerhalb der Kirchenmauern in die Hände klatschen würde, wie jetzt, als der Küster ihr die hohen Schränke öffnete, indem er einen dicken Schlüsselbund aus seinem schwarzen Kittel holte, auf eine hölzerne Trittleiter stieg und die Türen aufschloß. Schon der erste Anblick verhieß eine Welt der Wunder: Eng aneinandergepreßt schimmerten die liturgischen Farben, das Kardinalsrot des Blutes und der Feuerflammen, das tiefe bischöfliche Violett als Zeichen für Buße und Umkehr, das päpstliche Weiß für die triumphalen Feste der Geburt und der Auferstehung, das helle Grün der endlos erscheinenden Sonntage nach Pfingsten, das Totenschwarz, das verspielte Hellblau.
    »Sogar Hellblau ist dabei, was ist denn das?« rief meine Mutter außer sich vor Entzücken. »Dann holen wir das als erstes heraus«, sagte der Küster, beugte sich weit vor und ergriff ein barockes Meßgewand. »Das gibt es hier an sich nicht. Hellblau ist in Spanien die Farbe für Marienfeste. Wie das jetzt hierhergekommen ist? Hier sind doch gar keine Spanier? Oder daß hier |212| vielleicht mal eine Spanierin hingeheiratet hat oder sonstwie ...?« Der Küster stand auf der Leiter und dachte nach. Meine Mutter hörte ihm nicht mehr zu. Vor ihr lag das hellblaue Meßgewand, dessen Vorderteil wie ein Cello geschnitten war. Sie streichelte mit der Hand darüber und hielt den Atem an. Der Stoff war fest, dicht gewebt und matt glänzend, in sein Himmelsblau waren kleine Vögel gestickt, Buchfinken vornehmlich, die nach Kirschen pickten oder Pfirsiche schon angeknabbert hatten, sie aber, weil sie zu schwer waren, um sie fortzutragen, am Stiel lassen mußten. Die Broderie war erhaben in der Art eines Reliefs und fast unbeschädigt. Es war dennoch erstaunlich, daß der Stoff, in den meine Mutter nun mit beiden Händen hineingriff, nicht zerbrach, vielleicht, weil ihre Hände bei aller Festigkeit freundlich mit ihm umgingen. Meine Mutter bemerkte nun auch die Rückseite der Kasel, auf der die Stickerei der Vorderseite womöglich noch übertroffen wurde. Die Motive hatten Europa verlassen. Statt heimischer Vögel sah man hier Papageien und ziegelrote kleine Kakadus, allerdings war der Rips an der rechten Schulter bereits ein wenig ausgebleicht.
    »Das war schon«, sagte der Küster und nahm das Gewand zurück. Wie der Verkäufer in einem Kleidergeschäft zog er einzelne Gewänder, auf die meine Mutter zeigte, aus dem Schrank, ohne sie vom Bügel zu nehmen, und meine Mutter, die immer wieder abwinkte, tat dies nicht, weil ihr die gezeigten Stücke nicht verlockend erschienen, sondern weil sie sie von den wahren Köstlichkeiten, für

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