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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nicht die schlimmsten Spuren des
Tages abwaschen würde. Dann verstummte sie und sah zur
Tür ihres Arbeitszimmers. Die Tür war nur angelehnt.
»Gottverdammt«, murmelte sie. »Gottverdammtl«
Wenn es etwas gab, das ihr mehr als alles andere mißfiel abgesehen vielleicht von Leuten, die einen unbedingt betatschen mußten
-, dann war es ein Eindringen in ihre
Privatsphäre. Sie hatte kein Schloß an der Tür ihres Arbeitszimmers, weil sie nicht glaubte, daß sie das nötig hätte.
Immerhin war dies ihr Haus; die Mädchen und Frauen, die
hierher kamen, kamen durch ihre Großzügigkeit und auf
ihre Kosten. Es sollte nicht nötig sein, diese Tür abzuschließen. Annas Wunsch, daß sie draußen blieben, wenn sie
nicht hineingebeten wurden, sollte genügen.
Meistens genügte er auch, aber ab und zu überlegte sich
eine Frau, daß sie ganz dringend etwas aus ihrer Akte
brauchte, daß sie ganz dringend Annas Fotokopierer benützen
mußte (der viel schneller war als der unten im Gemeinschaftsraum), daß sie ganz dringend eine Briefmarke brauchte,
und dann kam diese respektlose Person herein, durchwühlte
einen Schreibtisch, der nicht ihr gehörte, sah vielleicht
Sachen, die nicht für ihre Augen bestimmt waren, verpestete
die Luft mit dem Geruch eines billigen Drugstoreparfums …
Anna blieb mit einer Hand auf dem Türknauf stehen und
sah in den dunklen Raum, der in ihrer Kindheit eine Vorratskammer gewesen war. Sie blähte leicht die Nasenflügel und
runzelte die Stirn. Sie nahm einen Geruch wahr, schon richtig, aber es war kein Parfüm. Es war etwas, das sie an den
irren Marxisten erinnerte. Es war …
Meine Männer tragen English Leather, oder sie tragen gar
nichts.
Jesus! Jesus Christus!
Sie bekam Gänsehaut auf den Armen. Sie war eine Frau,
die sich etwas auf ihren Pragmatismus einbildete, aber plötzlich fiel es ihr nur allzu leicht, sich vorzustellen, daß der Geist
von Peter Slowik in ihrem Büro auf sie wartete, ein so substanzloser Schemen wie der Gestank dieses aufdringlichen
Kölnisch Wassers, das er benutzt hatte …
Ihr Blick fiel auf ein Licht in der Dunkelheit: der Anrufbeantworter. Das kleine rote Licht blinkte wie verrückt, als
hätte die ganze Stadt heute angerufen.
Es war etwas passiert. Auf einmal wußte sie es. Das
erklärte auch den Piepser … aber sie war dumm genug
gewesen, ihn abzuschalten, damit die Leute sie nicht ständig
anstarrten. Etwas war passiert, wahrscheinlich am Ettinger’s
Pier. Jemand war verletzt. Oder, Gott steh uns bei
Sie betrat ihr Arbeitszimmer, tastete nach dem Lichtschalter neben der Tür, dann erstarrte ihre Hand, verwirrt darüber, was ihre Finger herausgefunden hatten. Der Schalter
war schon oben, was bedeutete, das Deckenlicht hätte an
sein sollen, aber das war es nicht.
Anna drückte zweimal auf den Schalter und wollte es
gerade zum drittenmal tun, als eine Hand auf ihre rechte
Schulter gelegt wurde.
Sie schrie angesichts dieser Berührung, ein Schrei, so
schrill und voller Panik wie von der Heldin eines HorrorFilms, und als eine zweite Hand ihren linken Oberarm
umklammerte und sie auf den Absätzen herumdrehte, als sie
den Umriß sah, der sich gegen das Licht der Küche abzeichnete, schrie sie wieder.
Das Ding, das hinter der Tür gestanden und auf sie gewartet hatte, war kein Mensch. Hörner wuchsen ihm aus dem
Kopf, Hörner, an denen sich seltsame, tumorähnliche
Wucherungen zu befinden schienen. Es war
»Viva el Toro«, sagte eine hohle Stimme, und da wurde ihr
klar, daß es ein Mann war, ein Mann mit einer Maske, aber
dadurch ging es ihr nicht besser, denn sie konnte sich gut
vorstellen, wer dieser Mann war.
Sie riß sich aus seinem Griff los und wich zu ihrem Schreibtisch zurück. Sie konnte immer noch English Leather riechen,
aber auch etwas anderes. Heißes Gummi. Schweiß. Und
Urin. War es ihrer? Hatte sie sich naß gemacht? Sie wußte es
nicht. Sie war von der Hüfte abwärts taub.
»Rühren Sie mich nicht an«, sagte sie mit einer zitternden
Stimme, die in krassem Gegensatz zu ihrem sonstigen ruhigen und befehlsgewohnten Tonfall stand. Sie streckte die
Hand hinter sich und tastete nach dem Knopf, mit dem sie
die Polizei rufen konnten. Er war irgendwo da, aber unter
Papierstapeln verborgen. »Wagen Sie es nicht, mich anzufassen, ich warne Sie.«
»Anna-Anna-bo-Banna, banana-fanna-fo-Fanna«, sagte die
Kreatur mit der gehörnten Maske in einem meditativen Tonfall und schlug die Tür hinter sich zu. Nun befanden sie sich
in völliger Dunkelheit.
»Bleiben Sie

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