Das Bild
worden
war), dann klopfte er an die Tür. Nichts. Er versuchte es mit dem
Knauf. Der ließ sich mühelos drehen. Er öffnete die Tür, tastete
rechts an der Wand und drückte auf den Lichtschalter.
Das Deckenlicht beleuchtete einen mit wildem Papierkram überhäuften Dinosaurier von Schreibtisch. Auf einem Stapel balancierte ein kleines Messingschild mit der Aufschrift ANNA STEVENSON und ES LEBE DAS CHAOS. An der Wand hing ein
gerahmtes Bild von zwei Frauen, die Norman kannte. Eine die verstorbene Susan Day. Die andere war das weißhaarige Miststück
von dem Zeitungsfoto, die wie Maude aussah. Sie hatten die Arme
umeinander gelegt und sahen einander lächelnd in die Augen wie
richtige Lesben.
An einer Wand des Raums standen Aktenschränke. Norman
ging zu ihnen, ließ sich auf ein Knie nieder, streckte die Hand nach
dem Fach mit dem Etikett D-E aus und hielt inne. Sie benutzte den
Namen Daniels nicht mehr. Er konnte sich nicht erinnern, ob Ferdinand ihm das erzählt, oder ob er es selber herausgefunden oder
sein Instinkt es ihm gesagt hatte, aber er wußte, daß es stimmte. Sie
hatte ihren Mädchennamen wieder angenommen.
»Du bleibst Rose Daniels bis zu dem Tag, an dem du stirbst, du
Fotze«, sagte er und wandte sich statt dessen dem Fach M zu. Er
zog. Nichts. Abgeschlossen.
Ein Problem, aber kein großes. Er würde etwas aus der Küche
holen, um ihn aufzubrechen. Er drehte sich um und wollte hinausgehen, als er wieder stehenblieb, weil sein Blick auf einen Weidenkorb neben dem Schreibtisch fiel. Am Griff des Korbs war ein Zettel befestigt: GEH AUF DIE REISE, KLEINER BRIEF, stand in
alter englischer Schrift darauf. In dem Korb lag ein kleiner Stapel
Post, und unter einem Umschlag, der an das Kabelfernsehen von
Lakeland adressiert war, ragte folgendes hervor:
endon
renton Street
- endon?
McClendon?
Er riß den Brief in die Höhe, stieß den Korb um und verstreute
den größten Teil der Post auf dem Boden; seine Augen waren weit
aufgerissen und gierig.
Ja, McClendon, bei Gott - Rosie McClendon! Und gleich darunter, deutlich und leserlich geschrieben, die Adresse, für die er durch
die Hölle gegangen war: 897 Trenton Street.
Ein langer, verchromter Brieföffner lag halb unter einem übriggebliebenen Stapel von Flugblättern für das Picknick. Norman
nahm ihn, schlitzte den Brief auf und steckte den Brieföffner in die
Gesäßtasche, ohne darüber nachzudenken. Gleichzeitig zog er die
Maske heraus und setzte sie wieder auf seine Hand. Das Blatt
Papier hatte einen geprägten Briefkopf-ANNA STEVENSON in
großen Buchstaben, Daughters and Sisters in etwas kleineren.
Norman hatte für dieses kleine Ego-Signal nur einen flüchtigen
Blick übrig, dann hielt er die Maske über das Papier und ließ Ferdinand für sich lesen. Anna Stevensons Handschrift war groß und
elegant - arrogant, hätten manche bestimmt gesagt. Normans verschwitzte Finger zitterten und wollten sich in Ferdinands Kopf
verkrampfen, was die Latexmaske beim Lesen konvulsivisch zucken
und zappeln ließ.
Liebe Rosie,
ich wollte Dir nur kurz ein paar Zeilen in deine neue
»Bude« schicken (ich weiß, wie wichtig diese ersten Briefe
sein können!) und Dir sagen, wie froh ich bin, daß Du zu uns
hier bei Daughters and Sisters gekommen bist, und wie froh,
daß wir Dir helfen konnten. Außerdem wollte ich Dich wissen lassen, daß ich mich sehr über Deinen neuen Job freue
ich habe so eine Ahnung, als würdest Du nicht lange in der
Trenton Street wohnen!
Jede Frau, die zu Daughters and Sisters kommt, erneuert
das Leben aller anderen - derer, die in der ersten Zeit ihrer
Genesung bei ihr sind, und derer, die nach ihr kommen, denn
jede läßt ein bißchen von ihrer Erfahrung, Kraft und Hoffnung zurück. Meine Hoffnung ist, daß wir Dich oft hier
sehen, Rosie, nicht nur, weil Deine Genesung noch lange
nicht abgeschlossen ist und Du viele Gefühle hast (vorwie
gend Wut, möchte ich annehmen), mit denen Du noch nicht
ins Reine gekommen bist, sondern auch, weil es Deine Pflicht
ist, das weiterzugeben, was Du hier gelernt hast. Das alles
muß ich Dir wahrscheinlich nicht sagen, aber
Ein Klick, nicht besonders laut, aber in der Stille deutlich zu hören.
Dem folgte ein anderes Geräusch: Piep-piep-piep-piep.
Der Einbruchalarm.
Norman hatte Gesellschaft bekommen.
6
Anna bemerkte den grünen Tempo gar nicht, der anderthalb
Blocks von Daughters and Sisters entfernt am Bordstein
parkte. Sie war tief in einen privaten Tagtraum versunken,
von dem sie noch nie jemandem
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