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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Ursache.« Gert umarmte sie kurz und heftig, dann
beugte sie sich nach vorne und gab Bill einen kräftigen
Schmatz auf die Wange. Ein Polizeiauto kam um die Ecke
und wartete im Leerlauf. »Gib gut auf sie acht, Junge.«
»Mach ich.«
Gert ging zu ihrem Fahrzeug, dann blieb sie stehen und
zeigte auf Bills Harley, die auf einem der Parkplätze mit der
Aufschrift NUR FÜR EINSATZFAHRZEUGE DER POLIZEI
auf dem Ständer stand. »Und schmeiß das Ding in dem verdammten Nebel nicht um.«
»Ich paß auf, Ma, versprochen.«
Sie holte mit einer großen Faust aus und machte ein
gespielt finsteres Gesicht, worauf Bill ihr mit halb geschlossenen Augen und einer Leidensmiene das Kinn hinhielt, daß
Rosie lachen mußte. Sie hätte nie gedacht, daß sie einmal auf
der Treppe eines Polizeireviers lachen würde, aber in diesem
Jahr war eine Menge geschehen, womit sie nie gerechnet
hätte.
Eine Menge.
9
    Trotz allem, was passiert war, genoß Rosie die Rückfahrt zur
Trenton Street fast so sehr wie die Fahrt heute morgen aufs
Land. Sie hielt sich an Bill fest, während sie auf den Hauptstraßen durch die Stadt fuhren und die schwere HarleyDavidson durch den dichter werdenden Nebel pflügte. Die
letzten drei Blocks war es, als würden sie durch einen baumwollgesäumten Traum fahren. Der Scheinwerfer der Harley
erzeugte einen gleißenden, wolkigen Zylinder, der durch die
Luft schnitt wie der Lichtstrahl einer Taschenlampe durch
ein verrauchtes Zimmer. Als Bill schließlich in die Trenton
Street einbog, waren die Häuser kaum mehr als Schemen,
und Bryant Park war ein gewaltiges, weißes Nichts.
    Der Streifenwagen, den Haie zugesagt hatte, parkte vor
Nr. 897. Die Worte Helfen und Schützen standen auf der Seite
geschrieben. Der Parkplatz vor dem Wagen war frei. Bill
lenkte das Motorrad dorthin, zog die Schaltung mit dem Fuß
in den Leerlauf und machte den Motor aus. »Du zitterst«,
sagte er, als er ihr herunterhalf.
    Sie nickte und stellte fest, sie konnte nur mit Mühe verhindern, daß ihre Zähne beim Sprechen klapperten. »Mehr
wegen der Feuchtigkeit als der Kälte.« Und doch vermutete
sie da schon, daß es wahrscheinlich an keinem von beiden
lag; sie wußte tief im Inneren, daß die Dinge nicht so standen,
wie sie sollten.
    »Nun, dann wollen wir dir was Trockenes und Warmes
anziehen.« Er verstaute ihre Helme, schloß die Zündung der
Harley ab und steckte den Schlüssel in die Tasche.
    »Ich finde, das hört sich nach der Idee des Jahrhunderts
an.«
Er nahm ihre Hand und ging mit ihr den Bürgersteig entlang zur Treppe des Hauses. Als sie an dem Streifenwagen
vorbeikamen, grüßte Bill den Polizisten am Steuer mit der
Hand. Der Polizist erwiderte den Gruß, indem er lässig mit
der Hand zum Fenster heraus winkte, und das Licht der
Straßenlaterne funkelte auf seinem Ring. Sein Partner schien
zu schlafen.
Rosie machte die Handtasche auf, nahm den Schlüssel heraus, den sie zu dieser späten Stunde brauchen würde, um die
Eingangstür aufzuschließen, und drehte ihn im Schloß um.
Sie bekam nur ganz am Rande mit, was sie tat; ihre anfängliche Angst hatte sie wieder überkommen wie ein riesiger
Gegenstand aus Eisen, der ein Stockwerk eines alten Gebäudes nach dem anderen durchschlug, ein Gegenstand, der bis
in den Keller hinabstürzen würde. Plötzlich verkrampfte sich
ihr Magen, ihr Kopf pochte, und sie hatte keine Ahnung, warum.
Sie hatte etwas gesehen, etwas, und sie konzentrierte sich
so sehr darauf, was es gewesen sein könnte, daß sie nicht
hörte, wie die Fahrertür des Streifenwagens aufging und
leise zugeschlagen wurde. Sie hörte auch nicht die leisen,
knirschenden Schritte auf dem Bürgersteig hinter ihnen.
»Rosie?«
Bills Stimme aus der Dunkelheit. Sie befanden sich im
Hausflur, aber sie konnte kaum das Bild des alten Tattergreises (sie glaubte, daß es Calvin Coolidge war) rechts an der
Wand sehen, oder den dürren Umriß des Kleiderständers mit
seinen Messingfüßen und dem Dickicht von Messinghaken,
der neben der Treppe stand. Warum war es so verdammt dunkel hier drinnen?
Weil das Deckenlicht aus war, darum; das war einfach.
Aber sie hatte noch eine Frage, die schwerer zu beantworten
war: Warum schlief der Cop auf dem Beifahrersitz des Streifenwagens in so einer unbequemen Haltung, Kinn auf der
Brust, Mütze so tief ins Gesicht gezogen, daß er wie ein
Schurke in einem Gangsterfilm aus den dreißiger Jahren aussah? Warum schlief er überhaupt, wo der Verdächtige, nach
dem sie Ausschau hielten, angeblich jeden

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