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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wahr. Darum war es besser, nicht zu
fragen. Falls etwas passierte. Etwas Schlimmes. Wahrscheinlich
würde nichts passieren, aber »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste« und »Keine unnötigen Risiken« waren immer noch die
besten Lebensregeln.
Nach seinem Plan traf sich die Carolina Street etwa vier Querstraßen westlich der Bushaltestelle mit dem Beaudry Place. Ein
hübscher kleiner Spaziergang an einem warmen Abend. Am
Beaudry Place wohnte der kleine Judenbengel von Traveller’s Aid.
Daniels ging langsam, fast schlendernd, mit den Händen in den
Taschen. Seine Miene war versonnen und etwas dümmlich und
verriet nicht, daß seine Sinne auf Alarmstufe gelb gestellt waren.
Er taxierte jedes vorbeifahrende Auto, jeden Fußgänger, der an ihm
vorbeikam, und hielt besonders nach Leuten Ausschau, die besonders ihn ansähen. Die ihn sahen. Es gab niemanden und das war
gut so.
Als er Klopfers Haus gefunden hatte - und genau das war es, ein
Haus, kein Apartment, wieder ein Glücksfall -, ging er
zweimal
daran vorbei und beobachtete das Auto in der Einfahrt und das
Licht im Fenster zur Straße. Wohnzimmerfenster. Die Vorhänge
waren offen, aber die Jalousie heruntergelassen. Dahinter konnte er
ein flackerndes buntes Leuchten erkennen, das vom Fernseher
stammen mußte. Klopfer war wach, Klopfer war zu Hause, Klopfer
sah fern und mummelte wahrscheinlich eine oder zwei kleine
Mohren, bevor er zum Busbahnhof ging, wo er versuchen würde,
Frauen zu helfen, die zu dumm waren, um Hilfe zu verdienen.
Oder zu schlecht.
Klopfer hatte keinen Ehering getragen und auf Norman sowieso
den Eindruck einer heimlichen Schwuchtel gemacht, aber Vorsicht
war besser als Nachsicht. Er schlich sich in die Einfahrt, sah in
Klopfers vier oder fünf Jahre alten Ford hinein und suchte nach
etwas, das daraufhindeutete, ob der Mann allein lebte oder nicht.
Er sah nichts, das irgendwelche Alarmglocken auslöste.
Zufrieden schaute er wieder die Straße entlang und sah niemanden.
Du hast keine Maske, dachte er. Du hast nicht mal einen
Nylonstrumpf, den du dir über das Gesicht ziehen kannst,
Normie, oder?
Nein, er hatte keinen.
Du hast ihn vergessen, richtig?
Nun … nein, eigentlich nicht. Er hatte ihn nicht vergessen. Er
hatte eine Ahnung, daß es einen Judenbengel weniger auf der Welt
geben würde, wenn morgen früh die Sonne aufging. Denn manchmal geschah selbst in friedlichen Wohngegenden wie dieser etwas
Schlimmes. Manchmal brachen Leute ein - natürlich überwiegend
Nigger und Junkies -, und schon war es passiert. Traurig, aber
wahr. Scheiße passierte eben, wie man T-Shirts und Autoaufklebern entnehmen konnte. Und auch wenn man es nur schwer glauben wollte, manchmal passierte die Scheiße eben den Guten und
nicht den Bösen. Zum Beispiel Prawda-lesenden Judenbengeln,
die Ehefrauen halfen, sich vor ihren Männern zu verstecken. So
was konnte man einfach nicht durchgehen lassen; das paßte nicht
in eine zivilisierte Gesellschaft. Wenn sich jeder so verhielte, dann gäbe es gar keine zivilisierte Gesellschaft.
Freilich war es ein allgemein verbreitetes Verhalten, weil die meisten Menschenfreunde damit durchkamen. Die meisten Menschenfreunde hatten selbstverständlich auch nicht den Fehler gemacht
seiner Frau zu helfen dieser Mann hatte es. Norman wußte
das so genau, wie er seinen eigenen Namen kannte. Dieser Mann hatte ihr geholfen.
Er ging die Treppe hinauf, sah sich noch einmal rasch um und
läutete. Er wartete, dann läutete er noch einmal. Nun hörten seine
Ohren, die ohnehin auf das leiseste Geräusch eingestellt waren, langsam näherkommende Schritte, nicht klack-klack-klack, sondern schlurf-schlurf-schlurf, Klopfer in Socken, wie niedlich.
»Ich komme«, rief Klopfer.
Die Tür ging auf. Klopfer sah ihn mit hinter der Hornbrille
schwimmenden Augen an. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte er.
Sein Oberhemd war offen und nicht in die Hose gesteckt, und er
trug es über einem Unterhemd mit Trägern, wie Norman selbst sie
trug, und das war plötzlich zuviel, das war der letzte Tropfen, der
Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte, und Norman war
rasend vor Wut. Daß so ein Mann so ein Unterhemd tragen durfte!
Das Unterhemd eines weißen Mannes!
»Ich glaube, das können Sie«, sagte Norman, und etwas an seiner Stimme oder seinem Gesicht - möglicherweise beidem - mußte
Slowik erschreckt haben, denn er riß die braunen Augen auf und
wich zurück, während er nach der Tür griff, um sie Norman vor der
Nase zuzuschlagen. Aber wenn er das

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