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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wesentlich
kräftigeren Oberkörper zu bedecken: ein ausgebeultes, verwaschenes Sweatshirt der Chicago Bulls. Norman legte es aufs Bett, dann
ging er in Klopfers Bad und drehte Klopfers Dusche auf. Während
er wartete, bis das heiße Wasser warm wurde, durchsuchte er Klopfers Arzneischränkchen, fand eine Flasche Advil und nahm vier.
Seine Zähne taten weh, sein Kiefer schmerzte. Seine gesamte untere
Gesichtshälfte war mit Blut und Haaren und kleinen Hautfetzen
bedeckt.
Er ging unter die Dusche, nahm Klopfers Seife, Irischer Frühling, und ermahnte sich, die ebenfalls in den Müllbeutel zu werfen.
Eigentlich wußte er nicht, was ihm diese Vorsichtsmaßnahmen
nützen würden, weil er keine Ahnung hatte, wieviel forensische
Spuren er unten im Keller hinterlassen hatte. Da unten war er eine
Zeitlang echt ausgerastet.
Während er sich die Haare wusch, fing er an zu singen: »Raaamblin’ Rose … Raaamblin’ Rose … where you raaamble … no one
knows … wild and windblown … that’s how you’ve grown … who
can ding to … a Raaamblin’ Rose?«
Er drehte die Dusche ab, trat heraus und betrachtete sein schwaches, geisterhaftes Ebenbild in dem beschlagenen Spiegel über dem
Waschbecken.
»Ich kann es«, sagte er tonlos. »Ich kann es, nur ich.«
5
    Bill Steiner hob die freie Hand, tun noch einmal zu klopfen,
und verfluchte sich innerlich wegen seiner Nervosität
-
normalerweise wurde er nicht so nervös, wenn es um
Frauen ging -, als sie antwortete. »Ich komme! Einen Moment noch, bin gleich da.« Gott sei Dank hörte sie sich nicht
zornig an, also hatte er sie vielleicht nicht aus der Badewanne geholt.
    Was, um alles in der Welt, hab ich hier auch zu suchen? fragte
er sich zum wiederholten Mal, als sich Schritte der Tür
näherten. Es ist wie eine Szene in einer halbgaren Komödie, die
nicht einmal Tom Hanks noch retten könnte.
    Das stimmte vielleicht, aber eines wußte er mit Sicherheit:
die Frau, die letzte Woche in seinen Laden gekommen war,
ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Statt sie im Lauf der Zeit
allmählich zu vergessen, schien er sich immer deutlicher an
sie zu erinnern. Zweierle i stand fest: Er brachte zum erstenmal in seinem Leben einer Frau Blumen, die er nicht mal
kannte, und seit seinem sechzehnten Lebensjahr war er nicht
mehr so nervös gewesen, wenn er sich mit einer Frau verabreden wollte.
    Als die Schritte auf der anderen Seite die Tür erreichten,
stellte Bill fest, daß eine der großen Margeriten gleich aus
dem Strauß fallen würde. Er schob sie hastig wieder hinein,
und als er aufschaute, sah er die Frau, die ihren falschen Dia mantring gegen ein schlechtes Bild getauscht hatte, mit
Mordlust in den Augen und einer über dem Kopf erhobenen
Konservendose - Obstsalat, wie es aussah - vor sich stehen.
Sie schien hin und her gerissen zwischen dem Wunsch nach
einem Erstschlag und der allmählichen Erkenntnis, daß es
sich nicht um die Person handelte, die sie erwartet hatte. Es
war, fand Bill später, einer der seltsamsten und exotischsten
Augenblicke seines Lebens.
    Die beiden sahen einander über die Schwelle von Rosies
Apartment in der Tremont Street an, er mit seinem Strauß
Frühlingsblumen aus dem Geschäft zwei Türen weiter in der
Hitchens Avenue, sie mit der über dem Kopf hochgehaltenen
Zwei-Pfund-Dose Obstsalat, und obwohl die Pause nicht
länger als zwei oder drei Sekunden gedauert haben konnte,
kam sie ihm sehr lang vor. Auf je den Fall lang genug, daß
ihm eines klar wurde, das beunruhigend, unfaßbar, ärgerlich, erstaunlich und wunderbar zugleich war. Obwohl er
halb damit gerechnet hatte, änderte sich nicht das geringste,
als er sie wiedersah; vielmehr wurde es nur noch schlimmer.
Sie war keine Schönheit, jedenfalls entsprach sie nicht dem
Schönheitsideal der Medien, aber für ihn war sie wunderschön. Wenn er ihre vollen Lippen und den Umriß ihres
Kinns sah, blieb ihm fast das Herz stehen, und unter dem
katzenhaften Leuchten ihrer blau-grauen Augen wurden
seine Knie weich. Sein Blutdruck schien zu hoch zu sein,
seine Wangen fühlten sich zu heiß an. Er wußte ganz genau,
was diese Empfindungen bedeuteten, und sie verdrossen
ihn, weil sie ihn zu ihrem Sklaven machten.
Er hielt-ihr die Blumen hin und lächelte hoffnungsvoll, ließ
aber die erhobene Konservendose nicht aus den Augen.
»Frieden?« sagte er.
6
    Seine Einladung, mit ihm essen zu gehen, folgte so rasch auf
ihre Erkenntnis, daß er nicht Norman war, daß sie zu ihrer
Überraschung zusagte. Sie vermutete, daß

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