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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Stecker war angeschlossen - sie
hatte heute in der Mittagspause die Telefongesellschaft aufgesucht und die Anschlußgebühr bezahlt. Die Dame, die sie
bediente, hatte ihr ihre neue Telefonnummer auf eine kleine
weiße Karte geschrieben, Rosie hatte sie in die Handtasche
gesteckt und war zur Tür hinausmarschiert. Einfach an den
Telefonen vorbei, die verkauft wurden. Sie hatte gedacht, sie
könnte eines mindestens zehn Dollar billiger bekommen,
wenn sie Ende der Woche zur Lakeview Mall marschierte.
Und weil sie lumpige zehn Dollar hatte sparen wollen,
würde sie jetzt…
Auf der anderen Seite der Tür herrschte Stille, aber als sie
zu der Ritze unter der Tür sah, konnte sie die Form seiner
Schuhe sehen. Große, schwarze, glänzende Schuhe würden
es sein. Er trug keine Uniform mehr, die schwarzen Schuhe
aber nach wie vor. Es waren harte Schuhe. Das konnte sie
bezeugen, weil sie im Lauf der Jahre mit ihm häufig die Spuren seiner Fußtritte an Beinen und Bauch und Pobacken
gehabt hatte.
Das Klopfen wurde wiederholt, dreimal drei Klopftöne in
rascher Folge: Tok-tok-tok, Pause, Tok-tok-tok, Pause, Tok-toktok.
Wieder dachte Rosie wie bei dem Anfall schrecklicher,
atemloser Panik heute morgen in der Aufnahmekabine an
die Frau in dem Bild, die dort auf ihrem bewachsenen Hügel
stand und keine Angst vor dem aufziehenden Gewitter oder
Gespenstern und Geistern, die in den Tempelruinen hausen
mochten, oder einfach nur umherziehenden Räuberbanden
hatte. Sie hatte vor gar nichts Angst. Das sah man an der Haltung ihres Rückens, an der nonchalant erhobenen Hand,
sogar (davon war Rosie fest überzeugt) an der Form der
einen, kaum sichtbaren Brust.
Ich bin nicht sie, ich habe Angst - so große Angst, daß ich mir
fast in die Hose mache - aber ich werde mich dir nicht einfach ergeben, Norman. Ich schwöre bei Gott, das werde ich nicht.
Einen Moment versuchte sie, sich an den Wurf zu erinnern, den Gert Kinshaw ihr beigebracht hatte, bei dem man
die Unterarme seines angreifenden Gegners packte und sich
dann zur Seite drehte. Es nützte nichts - wenn sie versuchte,
sich die entscheidende Drehung vorzustellen, konnte sie nur
Norman auf sich zukommen sehen, der die Zähne fletschte
(sein beißendes Lächeln, wie sie es immer nannte) und mit
ihr reden wollte - aus der Nähe.
Ganz aus der Nähe.
Ihre Lebensmitteltüte stand immer noch auf dem Küchentresen, daneben lagen die gelben Flugblätter. Sie hatte die
verderblichen Sachen herausgenommen und in den Kühlschrank getan, aber die wenigen Dosen, die sie auf dem
Markt gekauft hatte, waren noch in der Tüte. Sie ging mit
Beinen, die so gefühllos waren wie Holz, zum Tresen und
griff in die Tüte hinein.
Wieder klopfte es dreimal: Tok-tok-tok.
»Ich komme«, sagte Rosie. Sie fand, daß sich ihre Stimme
erstaunlich ruhig anhörte. Sie holte die größte Dose aus der
Tüte heraus, zwei Pfund Obstsalat. So gut sie konnte, schloß
sie die Hand darum, dann stapfte sie mit ihren tauben Holzbeinen zur Tür. »Ich komme, Moment noch, bin gleich da.«
4
    Während Rosie einkaufte, lag Norman Daniels in seiner Unterwäsche auf einem Bett im Whitestone Hotel, rauchte eine Zigarette
und sah zur Decke hinauf.
    Er hatte das Rauchen angefangen wie viele Jungs, indem er
Zigaretten aus den Pall-Mall-Packungen seines Vaters stibitzt und
eine Tracht Prügel riskiert hatte, wenn er erwischt wurde; eine
Möglichkeit, die er als lohnenden Preis für den Zuwachs an Ansehen betrachtete, der einem zuteil wurde, wenn man in der Innenstadt an der Ecke State und Route 49 gesehen wurde, an einen Telefonmast vor dem Aubreyville Drugstore and Post Office gelehnt,
den Kragen der Jacke hochgeschlagen und eine Kippe im Mundwinkel hängen, als wäre nichts dabei: Irre, Baby, ich bin echt der
große Mr. Cool. Wenn deine Freunde in ihren alten Autos vorbeifuhren, woher sollten sie wissen, daß du die Kippe aus der Packung
auf der Kommode deines Alten geklaut hattest, oder daß beim einzigen Mal, wo du all deinen Mut zusammengenommen und versucht hattest, dir selbst eine Packung im Drugstore zu kaufen, der
alte Gregory dir ins Gesicht gelacht und gesagt hatte, du solltest
dich erst wieder blicken lassen, wenn du dich rasieren müßtest?
    Mit fünfzehn war das Rauchen etwas Tolles gewesen, etwas ganz Tolles, ein Ausgleich für alles, was er nicht haben konnte
(zum Beispiel ein Auto, nicht einmal eine alte Rostlaube, wie seine
Freunde welche fuhren - Autos mit Spachtelmasse auf den Kotflügeln und weißem »Plastikblech«

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