Das Bild
nahm
der häufig wieder seine alten Gewohnheiten an. Gewohnheiten besonders schlechte wie Rauchen und Trinken - waren Krücken,
behauptete der Volksmund. Na und? Wenn man hinkte, was war
falsch daran, eine Krücke zu benützen? Wenn er sich um Rosie
gekümmert hatte (dafür gesorgt hatte, falls es zu einer formlosen
Scheidung kam, daß es eine zu seinen Bedingungen war, sozusagen), würde er alle Krücken wieder wegwerfen.
Diesmal endgültig.
Norman drehte den Kopf und sah zum Fenster hinaus. Noch
nicht dunkel, aber es dämmerte. Dunkel genug, daß er sich auf den
Weg machen konnte. Er wollte nicht zu spät zu seiner Verabredung
kommen. Er drückte die Zigarette in dem überquellenden Aschenbecher neben dem Telefon auf dem Nachttisch aus, schwang die
Füße vom Bett und zog sich an.
Es bestand kein Grund zur Eile, das war das Schöne daran; er
hatte all seinen angesammelten Resturlaub abzufeiern, und Captain Hardaway hatte nicht die geringsten Sperenzchen gemacht,
als Normen ihm gesagt hatte, daß er sie nehmen wollte. Dafür gab
es zwei Gründe, vermutete Norman. Erstens, die Zeitungen und
Fernsehsender hatten ihn zum Superstar des Monats gemacht;
zweitens, Captain Hardaway konnte ihn nicht leiden, hatte ihm
zweimal wegen angeblicher übertriebener Brutalität im Einsatz die
Schnüffler des Internal Affairs Department, der Abteilung fiir
Innere Angelegenheiten auf den Hals gehetzt und war zweifellos
froh darüber, daß er ihn eine Zeitlang loswurde.
»Heute nacht, du Miststück«, murmelte Norman, als er mit
dem Fahrstuhl nach unten fuhr, allein mit seinem Spiegelbild in
dem altersblinden Spiegel an der Rückwand der Kabine. »Heute
nacht, wenn ich Glück habe. Und ich fühle mich, als hätte ich
Glück.«
Eine Reihe Taxis standen am Bordstein, aber Daniels beachtete
sie nicht. Taxifahrer führten Protokoll, und manchmal erinnerten
sie sich an Gesichter. Nein, er würde wieder mit dem Bus fahren.
Diesmal einem städtischen Bus. Er ging mit raschen Schritten zur
Bushaltestelle an der Ecke, wobei er sich fragte, ob er sich das mit
seinem Glück nur einbildete, entschied aber, daß dem nicht so war.
Er war nahe dran, er wußte es. Er wußte es, weil er sich wieder in
ihren Kopf hineinversetzt hatte.
Der Bus - der die Strecke der Linie Grün fuhr - kam um die Ecke
und rollte zur Hältestelle, wo Norman stand. Er stieg ein, bezahlte
seine vier Münzen, setzte sich ganz hinten hin - heute abend
mußte er nicht Rose sein, was für eine Erleichterung - und sah zum
Fenster hinaus, während die Straßen vorbeirollten. Reklamen von
Bars. Reklamen von Restaurants. DELL BIER. PIZZA PORTIONSWEISE. SEXY GIRLS OBEN OHNE.
Du gehörst nicht hierher, Rose, dachte er, als der Bus an einem
Restaurant namens Pop’s Kitchen vorbeifuhr - »Rindfleisch aus
Kansas City«, verkündete ein blutrotes Neonschild im Fenster. Du
gehörst nicht hierher, aber das macht nichts, weil ich jetzt
hier bin. Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu bringen.
Jedenfalls, um dich irgendwohin zu bringen.
Das Dickicht der Neonschilder und der dunkle, violette Himmel
weckten Gedanken an einen alten Song von Bob Seger in ihm, einen
aus der guten alten Zeit, als das Leben noch nicht so merkwürdig
und irgendwie klaustrophobisch gewesen war, wie die Wände eines
Zimmers, das immer kleiner wurde und einen langsam einschnürte.
»When the streetlights for liquor start bringin’ on the night«, lautete der Text dieses alten Songs, »they’ll be slippin’ into darkness,
slippin’ out ofsight.« Das waren wahre Worte. Sein ganzes Leben
als Erwachsener war er ein Cop gewesen, und er wußte, daß dies
wahre Worte waren. Aber er konnte auch in die Dunkelheit schlüpfen. In die Dunkelheit und außer Sicht. Ein Cop, der nicht lernte,
mit den Wölfen zu heulen - dem Abschaum der Straße -, machte es
nicht sehr lange.
Er hatte die ganze Fahrt über die Straßenschilder im Auge behalten und war sicher, daß sie sich jetzt der Carolina Street näherten.
Er stand auf, ging nach vorne und hielt sich an der Stange fest. Als
der Bus anhielt, und die Türen aufgingen, stieg er die Stufen hinunter und schlüpfte ohne ein Wort in die Dunkelheit.
Er hatte sich am Zeitungskiosk im Hotel einen Stadtplan
gekauft, sechs Dollar und fünfzig Cent, ungeheuerlich, aber wenn
er nach dem Weg gefragt hätte, wäre der Preis möglicherweise
höher. Die Leute erinnerten sich an jemand, der nach dem Weg
fragte; manchmal erinnerten sie sich sogar fünf Jahre später noch
daran, unglaublich, aber
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