Das bisschen Haushalt
ein anderes Verhältnis zur Arbeit und zur Natur als ihr Bruder, weshalb sie freudig bei der Sache ist. Ich ziehe ihr eine verwaschene Jeans und ein älteres Paar Turnschuhe an. Zunächst stellen wir den Notarztwagen für den Grasdoktor bereit: In den Schubkarren legen wir einen 40-Liter-Beutel Blumenerde, Grassamen, einen Eimer für kleinere Steinchen, die wir aus dem Boden entfernen werden, ein „Friedhofsgerät“ (ja, diese Kombination aus Mini-Schaufel und Rechen heißt wirklich so) und mein selbst gebautes Stampfbrett. „So, Mäuslein, es kann losgehen!“ „Ne, wart’ noch mal.“ Rebecca verschwindet im Haus. Fünf Minuten später ist sie zurück. Auf ein weißes Blatt hat sie ein rotes Kreuz gemalt. „Ein richtiger Doktor braucht das. Kannst du das festkleben?“ Schmunzelnd hole ich Malerkreppband und gleich auch den Fotoapparat, um unser Gefährt abzulichten.
Ich lenke unseren Sanka in den hinteren Gartenbereich; wir wollen uns nach vorn durcharbeiten. Ich harke die erste graslose Stelle auf - Rebecca darf den Grassamen hineinstreuen. „Häslein, es langt, wenn du deine Hand nur zu einem Viertel befüllst.“ Rebecca greift in die Tüte, grabscht den Samen und schüttet selbigen auf die vorbereitete Stelle. Offensichtlich hat sie jedoch nicht verstanden, was „ein Viertel“ bedeutet, denn nun liegt ein zwei Zentimeter hoher Samenbelag auf dem zuvor kahlen Flecken - sieht aus wie ein dick beschmiertes Mettwurst-brot. Ich versuche, das überschüssige Saatgut wieder in den Beutel zu bringen und bitte Rebecca derweil, schon mal die nächste Stelle mit dem Rechen zu lockern.
Mit dem Stampfbrett ebne ich die soeben ausgebesserte Fläche wieder ein und will gerade zu Rebecca hinübergehen, als mich von hinten ein heftiger Schlag trifft. „Auuuuu!“ Ich drehe mich um und erkenne das Flugzeug des Hot-Wheels-Sling-Shotz-Blaster-Launchers. „Paul! Paul! Sofort hierher!“ Er kommt von der Terrasse angetrottet: „Sorry, hatte die Flugbahn falsch berechnet“, brabbelt er wenig schuldbewusst. „Freundchen, das nehme ich dir nicht ab. Du hast mich absichtlich angeschossen!“ „Hab’ ich gar nicht!“ „Haste wohl!“ „Nö!“ „Ende Gelände. Dein Was-weiß-ich-wie-dieses-Monsterteil-heißt-Gerät kommt weg und du hilfst hier mit!“ Ich weiß genau, was jetzt in Pauls Kopf vor sich geht, was er denkt und was er am liebsten sagen würde, weshalb ich ergänze: „Und wenn du versuchst zu protestieren, dann machst du ganz allein das Unkraut im Vorgarten weg!“ Das wirkt. Paul leistet keine Widerrede.
Zu dritt machen wir also weiter. Nach der fünften notärztlich versorgten Stelle verliert Rebecca die Lust und verabschiedet sich in die Bauecke. Paul will es ihr gleichtun. Ich zögere einen Augenblick: Soll ich ihn zurückpfeifen und ihn an seine Pflicht erinnern oder soll ich ihn ziehen lassen? Vielleicht war es ja doch keine Absicht, dass er mich getroffen hat. Ich entscheide mich für die großzügige Lösung und lasse ihn entschwinden. Allein komme ich ohnedies schneller voran. Obwohl. So eine nette kleine, miniberockte Krankenschwester im dritten Lehrjahr könnte ich schon gut als Assistentin gebrauchen .
Mittwoch, 10. September
Tagsüber keine besonderen Vorkommnisse, dafür heute Abend: Damenbesuch! Tupperparty! Nachdem Carola in den zurückliegenden Jahren schon weit mehr als zehn Tupperpartys besucht hatte, musste sie sich auch irgendwann dazu bereit erklären, selbst eine auszurichten. Heute ist ihr Tag gekommen!
Salzstangen und Gummibärchen hatte ich heute Vormittag besorgt und nachmittags das Wohnzimmer zum Showroom umgestaltet. Rebecca und Paul hatte Carola erlaubt, im Schlafzimmer fernsehen zu dürfen und mir wurde mitgeteilt, dass ich mich ins Homeoffice zu begeben habe, schließlich sei das eine Veranstaltung für HausFRAUEN! Ich gehe also in meine Verbannung und bekomme nicht einmal Frau Meininger - die ortsbekannte Tupperrepräsentantin - persönlich zu Gesicht. Wohl aber kann ich vom Fenster meines Büros aus beobachten, wie sie mit zwei großen Koffern durch das Gartentörchen schreitet. Ob sie vorhat, ihren Urlaub hier zu verbringen?
Kurz vor 20:00 Uhr beginnt es dann im Minutentakt an der Haustüre zu läuten. Um 20:30 Uhr siegt meine Neugierde vor der Angst, mir später von Carola anhören zu müssen, dass meine Anwesenheit nicht gewünscht gewesen wäre. Weder eventuelle Repressalien noch Vorwürfe fürchtend, begebe ich mich also aus der Einöde meines Büros in die
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