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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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missionieren.
    »Quark ist gut für die Verdauung«, sagte Greta.
    »Und für die Haut«, sagte Marlene. »Von innen und von außen. Wenn du Quark mit Honig verrührst, kannst du es als Gesichtsmaske benutzen.«
    »Eure Haut ist schön genug«, sagte die Mutter. »Ihr seid doch noch so jung.«
    »Man kann gar nicht früh genug damit anfangen.« Greta sah ihrer Mutter prüfend ins Gesicht. »Du solltest auch mal ein bisschen was für dich tun.«
    »Ich schäme mich nicht für meine Falten.« Die Mutter aß unbeirrt weiter. »Das Leben hinterlässt nun mal seine Spuren. Die kann man nicht einfach mit einem großen Radiergummi wegrubbeln.«
    »Das Leben hinterlässt überall seine Spuren«, sagte der Vater. »Guckt euch nur das Haus an. Da wär mir ein großer Radiergummi ganz lieb.«
    »Wenn wir mit dem Zaun fertig sind«, versprach Marlon, »flicke ich das Dach.«
    »Wird auch Zeit«, sagte Marlene. »Die Decke in meinem Zimmer ist ein einziges Sieb.«
    Das war maßlos übertrieben. Es gab zwei undichte Stellen, an denen sich die Tapete wellte. Marlon hatte sie neulich fotografiert. Genauso wie die nassen Flecken an den Stallwänden, auf denen Schimmelpilz wuchs. Spuren des Lebens. Das wäre ein guter Titel für eine Fotoserie. Man fand solche Spuren überall im Dorf, man musste nicht lange danach suchen.
    Marlon hatte oft das Gefühl, in einem falschen Leben gelandet zu sein. Es musste doch mehr geben als die ständigen Versuche, den Verfall aufzuhalten. Er hätte gern eine neue Scheune gebaut, statt die alte auszubessern. Ein geräumiges Gewächshaus für die Pflanzen, die er immer schon züchten wollte. Und vor allem ein neues Haus. Mit Solarzellen auf dem Dach und großen, klaren Räumen, in denen nur wenige moderne Möbel stehen dürften. Ein Haus, für das er nur gesunde, einwandfreie Materialien verwenden würde.
    Auch seine Mutter schien das falsche Leben zu führen. Ihre Leidenschaft waren Filme. Sie wusste alles über die Schauspieler und Schauspielerinnen, besonders über die, die sie aus ihrer Kindheit kannte. Drei Schauspieler verehrte sie geradezu, Marlon Brando, Greta Garbo und Marlene Dietrich.
    So waren Marlon, Greta und Marlene zu ihren Namen gekommen.
    Marlon hatte ihr das nie vorgeworfen, obwohl er es unangenehm fand, mit einem Namen zu leben, der in gewisser Weise bloß geliehen war. Außerdem mochte er Marlon Brando nicht besonders. In
Die Meuterei auf der Bounty
hatte Brando ihn beeindruckt, aber in
Der letzte Tango in Paris
hatte er ihn abstoßend gefunden.
    Er hatte mit Greta und Marlene einmal darüber zu sprechen versucht, aber die beiden hatten nicht dieses komplizierte Verhältnis zu ihren Namen. Es gefiel ihnen sogar, wie die berühmten Schauspielerinnen zu heißen.
    In einem falschen Leben festzustecken hieß auch, falsche Sehnsüchte aufzubauen. Wonach sehnte sich seine Mutter? Marlon sah sie an. Man konnte in ihrem Gesicht Reste früherer Schönheit entdecken. Wenn sie lachte, war es, als sprenge das Lachen die Jahre weg. Dann sah sie fast so aus wie auf den wenigen Aufnahmen, die sie als junges Mädchen zeigten.
    Marlon nahm sich vor, sie zu fotografieren. Irgendwann, wenn sie allein wären. Er würde sie zum Lachen bringen und dann auf den Auslöser drücken.
    Aber zuerst einmal musste er den Zaun fertig machen.

    Jana hatte ihr Tagebuch hervorgeholt.
    Ein paar Sätze nur.
    Sie hatte sich angewöhnt, ihre Beobachtungen aufzuschreiben. Es machte den Kopf klar, rückte die Proportionen zurecht. Manchmal schrieb sie auch kleine Geschichten. So als wäre das, was sie aufs Papier brachte, gar nicht ihr passiert, sondern einer anderen Person. Und dann las sie die Geschichte und betrachtete sie von außen wie etwas Fremdes. Das hatte ihr schon oft geholfen.
    Sie schrieb auf dem Bett. So konnte sie, wenn jemand das Zimmer betrat, das Tagebuch rasch unters Kopfkissen schieben. Es gab keine Schlüssel, keine verschlossenen Türen. Zwar war es üblich anzuklopfen, bevor man in ein Zimmer ging, aber darauf wollte Jana sich nicht verlassen.
    Den Stift in der Hand zu halten und seine Spitze übers Papier gleiten zu lassen, war ein gutes Gefühl. Nur nicht, dass sie es heimlich tun musste.

Maras einzige Schuld war es, sich zu verlieben. Dafür wird sie bestraft. Wenn aber La Lune, wie es im Buch heißt, die Liebe ist, wie kann sie Mara dann für die Liebe bestrafen?
    Mara horchte auf jeden Laut, der von außen in ihr Zimmer drang. Sie hielt sich daran fest, denn im Strafhaus war nichts als

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