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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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ihrer ungewohnten Kluft. Immer wieder fuhr der eine oder andere sich mit den Fingern in den Hemdkragen, der ihm die Luft abschnürte.
    Die Orgel klang, als müsse sie dringend überholt werden. Alle Lieder wurden eine Oktave zu hoch gespielt und die dünnen Stimmen hatten Mühe, dem Tempo zu folgen. Marlon spürte, dass er nicht mehr hierher gehörte. Die Rituale waren ihm noch vertraut, aber viele der Worte, die zu ihnen gehörten, hatte er bereits vergessen.
    Nach der Messe gingen Marlons Eltern mit den Nachbarn zum Frühschoppen in den
Dorfkrug
. Marlon wartete vor der Kirche auf den Pfarrer.
    »Ein seltener Besucher«, sagte der Pfarrer, den man mit seinen Jeans und dem ausgeleierten Pulli nicht so leicht für einen Pfarrer gehalten hätte.
    »Ich möchte mit Ihnen sprechen«, sagte Marlon.
    »Dann gehen wir am besten ins Haus. Hier draußen ist es ein bisschen ungemütlich.«
    Sein Wohnzimmer schien gleichzeitig das Arbeitszimmer zu sein. Bücher stapelten sich auf dem Boden und auf dem Sofa. Sie mussten sich zwischen ihnen hindurchschlängeln, um zu den beiden Sesseln zu gelangen.
    »Was kann ich für dich tun, Marlon?«
    Marlon hatte sich nicht überlegt, wie er dieses Gespräch beginnen wollte. Er hatte sich nur vorgenommen, Jana aus dem Spiel zu lassen. Aber er stellte schnell fest, wie schwierig das war.
    »Ich habe gehört, dass zwei von den Kindern des Mondes abgehauen sind«, sagte er.
    »Von wem hast du das gehört?«, fragte der Pfarrer.
    »Man erzählt es sich im Dorf.«
    »So. Tut man das.«
    »Das Mädchen, sie heißt Mara, soll manchmal in der Kirche gewesen sein und mit Ihnen gesprochen haben.«
    »Erzählt man sich das auch im Dorf?«
    Marlon war in eine Sackgasse geraten. Prüfend sah er dem Pfarrer ins Gesicht. Er wusste nicht, ob er ihm trauen konnte. Seine Art, sich anzuziehen, ein nachlässiger Dreitagebart und das liebenswerte Chaos ringsum machten ihm diesen Mann sympathisch. Ebenso die Tatsache, dass Mara seine Nähe gesucht hatte. Aber reichte das aus, um offen mit ihm über Jana zu sprechen?
    Andrerseits – welche Gefahr konnte denn von ihm ausgehen? War er als Pfarrer nicht ein berufsmäßiger Feind von Sekten? Marlon erinnerte sich an Predigten, bei denen er mit den Kindern des Mondes hart ins Gericht gegangen war.
    »Marlon, warum bist du hergekommen?«
    »Um Sie zu fragen, ob Sie den beiden bei der Flucht geholfen haben.«
    Der Pfarrer kniff die Augen zusammen.
    »Du bist ziemlich direkt.«
    »Drumherumreden liegt mir nicht.«
    Woher soll er wissen, ob er
mir
trauen kann?, dachte Marlon. Vielleicht hat er dasselbe Problem wie ich und fragt sich, welches Risiko ich für ihn darstelle. Wenn er Mara und Timon geholfen hat, wird er nicht im Traum daran denken, es mir oder irgendjemandem sonst auf die Nase zu binden.
    »Warum willst du das wissen, Marlon?«
    Die Frage war berechtigt und es gab jetzt nur noch zwei Möglichkeiten: die Antwort zu umgehen, womit das Gespräch über kurz oder lang beendet wäre, oder den ersten Schritt in Richtung Vertrauen zu tun.
    »Ich kenne ein Mädchen, das bei den Kindern des Mondes ist«, sagte Marlon. »Und sie ist in großen Schwierigkeiten.«
    Aufmerksam sah der Pfarrer ihn an.
    »Warum ist sie in Schwierigkeiten?«
    »Man verdächtigt sie, von der Flucht der beiden gewusst zu haben.«
    »Hat sie davon gewusst?«
    Marlon zögerte, dann beschloss er, einen weiteren Schritt zu tun.
    »Ja«, sagte er. »Sie wusste, dass die beiden weglaufen wollten, mehr aber nicht.«
    »Ist sie eine Freundin von Mara?«
    Marlon nickte. Dass der Pfarrer Mara so selbstverständlich beim Namen nannte, war ein stillschweigendes Eingeständnis. Er kannte sie, sonst hätte er sich ihren Namen, den Marlon anfangs nur einmal beiläufig erwähnt hatte, nicht gemerkt.
    »Sie macht sich große Sorgen um sie und wäre erleichtert, wenn sie wüsste, dass die beiden nicht mutterseelenallein irgendwo herumirren. Wenn sie sicher sein könnte, dass ihnen jemand... Kontakte verschafft hat.«
    »Davon würde ich an ihrer Stelle ausgehen«, sagte der Pfarrer.
    Sie sahen sich in die Augen. Der Pfarrer hatte alles gesagt und doch nichts preisgegeben. Marlon entspannte sich.
    »Danke.«
    Er stand auf und der Pfarrer begleitete ihn zur Tür.
    »Wenn ich dir sonst irgendwie helfen kann...«
    »Würden Sie das tun?«
    »Jederzeit.«
    »Obwohl ich nicht mehr in die Kirche komme?«
    Noch bevor er den Satz ausgesprochen hatte, wusste Marlon, wie albern er war. Der Pfarrer lachte leise

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