Das blaue Mädchen
könnte Miri hier gesund werden. »Gertrud?«
»Ja?«
»Miri hat eine Mittelohrentzündung. Indra und Linn sind auch krank. Sie haben eine Magen-Darm-Infektion. Und alle drei werden mit demselben Mittel behandelt.«
Gertrud runzelte die Stirn.
»Bist du sicher?«
»Ich habe es ihnen doch jede Stunde verabreicht.«
»Welche Symptome hat Miri?«
»Zuerst hat sie über Ohrenschmerzen geklagt. Jetzt tut ihr auch der Kopf weh. Gertrud, du kennst sie. Miri hält eine Menge aus. Aber diese Kopfschmerzen müssen fürchterlich sein.«
»Schläft sie?«
»Sehr unruhig. Sie hält sich ständig den Kopf und wälzt sich im Bett herum.«
»Das hört sich nicht gut an.«
»Sie geben ihr nichts gegen die Schmerzen, nur dieses Mittel, von dem Judith sagt, es sei fiebersenkend und reinigend.«
»Und ab und zu kommt La Lune vorbei und betet mit ihr?«
»Ja.«
»Und legt ihr die Hand auf.«
»Ja.«
Gertrud schwieg eine ganze Weile. »Ich möchte dich nicht noch mehr beunruhigen, Jana«, sagte sie dann, »aber die Symptome, die du beschreibst...«
Jana wappnete sich.
»...könnten auf eine Hirnhautentzündung hindeuten.«
»Was heißt das?«
»Dass Miri lebensgefährlich erkrankt ist. Eine Hirnhautentzündung kann innerhalb weniger Tage...«
Jana erstarrte.
»Warte«, sagte Gertrud. »Du weißt, dass medizinische Nachschlagewerke auf dem Index stehen. Aber vielleicht finden wir in einem normalen Lexikon etwas, das uns weiterhilft.«
Hirnhautentzündung (
Meningitis
), auch
Genickstarre
genannt, da einhergehend mit sehr heftigen Kopfschmerzen und Nackensteife; epidemisch, tuberkulös, nach Verletzung oder anderen Infektionen.
»Das bringt uns nicht weiter.« Gertrud klappte das Buch ärgerlich zu. »Du musst Miri beobachten, Jana. Wenn sich ihr Zustand nicht bald bessert, braucht sie Hilfe.«
»Du meinst...«
»Sie muss in ein Krankenhaus.«
»Das wird La Lune niemals erlauben.«
»Nein. Sicher nicht.«
»Aber wir wissen ja nicht einmal, wo das nächste Krankenhaus ist!«
»Du kennst jemanden, der es weiß, Jana.« Gertrud zog ihre Jacke an. »Vielleicht machen wir uns ganz unnötige Gedanken. Doch wenn nicht – ich bin hier, wenn du mich brauchst.«
Schweigend gingen sie zum Speisesaal hinüber, während es aus dem dunklen Himmel zu regnen begann.
18
Nachdem Marlon eine weitere halbe Stunde zugegeben hatte, beschloss er, nicht länger zu warten und es irgendwann am Nachmittag noch einmal zu versuchen. Er war bis zum Ende der Lichtung gekommen, als er schnelle Schritte hinter sich hörte.
Jana trug ihr Mondtagsgewand, das sie mit beiden Händen gerafft hielt, damit es sie beim Laufen nicht behinderte, und darüber ein Umhängetuch, das sie vor der Brust verknotet hatte.
Atemlos warf sie sich in Marlons Arme.
Ihr Haar und das Tuch waren nass vom Regen. Ihre Lippen waren kalt. Marlon zog die Jacke aus, legte sie ihr um die Schultern und sie gingen zu der Stelle zurück, an der er auf sie gewartet hatte. Die Tannen bildeten hier ein schützendes Dach und der Boden war so trocken, dass sie sich setzen konnten.
»Du hattest Recht mit dem Pfarrer«, sagte Marlon. »Er hat Mara und Timon geholfen. Er hat ihnen Kontakte verschafft.«
Eigentlich hatte er nicht so damit herausplatzen wollen. Er hatte sich vorgenommen, Jana langsam darauf vorzubereiten, um die Freude auf ihre Reaktion länger auskosten zu können.
Jana schloss die Augen. Sie atmete tief ein und aus. Dann lächelte sie. Und küsste ihn. Lange.
»Du hast mit ihm gesprochen?«
»Ja. Heute Morgen. Aber er ist absolut verschwiegen. Er hat es mir mehr zwischen den Sätzen zu verstehen gegeben.«
»Das ist gut. Dann kriegen auch die Spitzel nichts raus.«
»Spitzel? Du meinst diesen Gerald?«
»Heute ist es Gerald, morgen Tanja oder Tom. Sie tun nur ihre Pflicht und eigentlich dürfte ich sie gar nicht so nennen. Mara und Timon haben die Gesetze verletzt und die Mondheit verraten. Ihre Seelen sind in Gefahr und können nur durch Läuterung gerettet werden. Aber dazu muss man Mara und Timon erst einmal zurückholen.«
»Das glauben sie?«
»Ja. Das glauben sie. Sie würden alles tun, um aus Mara und Timon wieder gute Kinder des Mondes zu machen.«
»Und du?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glaube.« Jana sah in den Regen hinaus. »Marlon?«
»Ja?«
Sie nahm seine Hand. »Ich brauche deine Hilfe.«
»Miri hat die ganze Zeit nach dir gerufen«, sagte Judith mit leisem Vorwurf.
Jana wusste nicht, ob Judith damit ausdrücken wollte, sie sei
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