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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand, und nahm Miris Hand. Sie war so klein, so heiß und so kraftlos. Watte steckte in Miris Ohr, gelb von dem Öl, das sie ihr eingeträufelt hatten.
    »Wie geht es dir, Miri?«
    »Mein Ohr tut so weh! Und mein Kopf! Und mir ist so heiß!«
    »Warte. Ich hole dir etwas zum Kühlen.«
    »Nein! Geh nicht weg!« Miri atmete schwer. Als wäre das Sprechen eine viel zu große Anstrengung für sie. Wimmernd presste sie die Hände gegen den Kopf.
    Hilflos sah Jana sie an.
    »Haben sie dir etwas gegen die Schmerzen gegeben, Miri?«
    »Ich muss immer Tee trinken und noch was anderes. Das ist ganz bitter. Und La Lune hat mit mir gebetet und...« Ihre Finger krallten sich ins Bettzeug. Sie stöhnte auf.
    »Mach die Augen zu, Miri. Versuch zu schlafen. Wenn du schläfst, spürst du die Schmerzen nicht mehr.«
    Miri rollte sich auf den Bauch. Sie drückte das Gesicht auf das Kissen, warf sich wieder herum, tastete nach Janas Hand.
    »Psch! Es wird alles wieder gut. Das verspreche ich dir.«
    Jana summte das Mondlied. Sprach leise auf Miri ein. Hielt die kleine, verschwitzte Hand fest.
    Miri fiel in einen unruhigen Schlaf.
    Mondtag. Es war sehr still. Keine Geräusche aus der Tischlerei, kein Sägen, kein Hämmern. Nur das ferne Tuckern eines Traktors. Jana spürte ein feines Klopfen in ihrer Hand. War das ihr eigener Puls oder der von Miri? Es musste ihr eigener sein, denn er war langsam und gleichmäßig und sie meinte sich zu erinnern, dass der von Kindern schneller ging.
    Sie bemerkte jetzt, warum ihr die Stille aufgefallen war. Die Musik hatte aufgehört. Aber Jana würde nicht nach dem Rekorder suchen und die Kassette wechseln, nicht, solange die Mädchen schliefen. Das hatte Zeit.
    Jede Stunde einen Löffel von dem schwarzen Sud. Dazu musste sie wissen, wie spät es war. Leise stand sie auf, schlich hinaus und schaute auf die Uhr über der Eingangstür.
    Sieben Uhr. Ein langer Tag lag vor ihr, ein Tag, an dem sie mit ein wenig Glück auch Marlon sehen würde. Sie musste eine Pause machen, sich besinnen, wie es Pflicht war an den Mondtagen. Wie sie das taten, blieb den Kindern des Mondes selbst überlassen. Jana würde einen Spaziergang durch den Wald machen. Besinnung in der freien Natur verstieß gegen keine Regel.
    Sie ging in den Waschraum, öffnete den großen Einbauschrank und nahm einen Waschlappen heraus. Dann suchte sie in der Küche nach einer Schüssel. Sie füllte sie halb mit kaltem Wasser und kehrte in den Schlafsaal zurück.
    Miris Schlaf war immer noch unruhig und flach. Jana stellte die Schüssel auf dem Boden ab, tauchte den Waschlappen in das Wasser, wrang ihn aus und legte ihn behutsam auf Miris Stirn.
    Allmählich wurde Miri ruhiger. Immer wieder tauchte Jana den Waschlappen in das kalte Wasser. Er wurde auf Miris glühender Stirn so schnell wieder warm, dass sie erschrak.

    Marlon begleitete seine Eltern in die Kirche. Er hatte das so lange nicht mehr getan, dass seine Mutter mit einem ganz feierlichen Gesichtsausdruck neben ihm ging.
    Greta und Marlene waren zu Hause geblieben. Spöttisch hatten sie das Gel in Marlons Haar registriert.
    »Für wen hast du dich denn schön gemacht?«, hatte Marlene gefragt.
    »Für den Pfarrer bestimmt nicht«, hatte Greta gesagt. »Hab ich nicht Recht, Bruderherz?«
    Ihr Gekicher war ihm auf die Nerven gefallen und er hatte sich seine Jacke geschnappt und wortlos die Küche verlassen.
    In gewisser Weise hatte Marlon sich tatsächlich für den Pfarrer zurechtgemacht. Jana hatte ihm anvertraut, dass Mara manchmal heimlich in die Kirche gegangen war und dass sie den Pfarrer gekannt hatte. Sie vermutete, er könnte Mara und Timon bei der Flucht geholfen haben.
    Das war ein Ansatzpunkt. Der einzige, den Marlon hatte. Er wollte mit dem Pfarrer sprechen. Vielleicht würde er etwas erfahren, was Jana beruhigen konnte. Vielleicht würde er auch etwas in Erfahrung bringen, was ihn selbst beruhigte.
    In ihrer Sonntagskleidung kamen ihm die Eltern fremd vor. Der Anzug seines Vaters war alt, aber gut gepflegt und sorgfältig gebürstet. Ebenso verhielt es sich mit dem Kostüm seiner Mutter. Sein schlichter, zeitloser Schnitt täuschte darüber hinweg, dass sie es zu besonderen Anlässen trug, so weit Marlon zurückdenken konnte.
    Die Nachbarn, die auf dem Kirchplatz zusammenstanden, wirkten wie Personen auf einer alten Fotografie, an die man sich nur undeutlich erinnern kann. Vor allem die Männer bewegten sich steif und ungelenk in

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