Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
berufliche und private Lebensführung hinterließ. Er bestimmte unter anderem, dass die Familie dem jüdischen Glauben treu bleiben möge und dementsprechend nur jüdische Partner als Ehemänner oder Ehefrauen in Betracht kamen. Zu lange hatte seine Familie unter antisemitischen Diskriminierungen gelitten, Nichtjuden sollten deshalb auf keinen Fall jemals vom Vermögen und Einfluss der Rothschilds profitieren.
Mit dieser Vorgabe und den hohen Ansprüchen der Familienmitglieder gestaltete sich die Partnersuche enorm schwierig – bis die Rothschilds schließlich eine praktische Lösung fanden: Sie heirateten innerhalb der Familie. 16 der 18 Ehen, die die Enkel Mayer Amschel Rothschilds im 19. Jahrhundert schlossen, waren Verbindungen zwischen Onkel und Nichte oder zwischen Vettern und Cousinen ersten Grades. Diese innerfamiliäre Partnerwahl hatte den Vorteil, dass das Vermögen in der Familie blieb, dass Traditionen und Geheimnisse gewahrt blieben und dass die Suche nach einem standesgemäßen Partner ein Ende hatte, denn ohnehin war die Familie der Meinung: Nur ein Rothschild ist gut genug für einen Rothschild.
1832 wagte die erste Nachfahrin, die Vorgabe des Firmengründers zu vernachlässigen und einen Partner außerhalb des familiären Genpools zu suchen. Dieser Gesetzesbruch löste extreme Empörung bei den älteren Mitgliedern der Familie aus:
»In unserer Familie haben wir immer unsere Kinder so erzogen, dass sie ihre Liebe Mitgliedern der Familie schenken. Diese Anhänglichkeit, diese Bindung an die Familie soll sie davor bewahren, außerhalb der Familie zu heiraten. Auf diese Weise bleibt das Vermögen in der Familie. […] Welches Beispiel soll es für Kinder sein, dass ein Mädchen sagt, ich heirate gegen den Wunsch meiner Familie? […] Sie hat leider die ganze Familie ihres Stolzes beraubt und ein Unheil gestiftet, das leider nicht mehr verändert werden kann. […] Nie in meinem Leben werde ich oder irgendjemand, der zu meiner Familie gehört, sie sehen oder empfangen. Wir wollen ihr nun alles Gute wünschen und sie aus unserem Gedächtnis verbannen, als hätte sie nicht existiert« (aus: David Landes, Die Macht der Familie ).
Theoretisch tat Mayer Amschel Rothschild gut daran, von seinen Nachkommen zu verlangen, innerhalb der Familie zu heiraten, denn in einer bindenden, Loyalität einfordernden Familie birgt gerade die Wahl des Partners Konfliktpotenzial. Oft ist der Akt der Partnerwahl in Festungsfamilien die erste autonome Entscheidung, die von den Kindern getroffen wird. Nicht umsonst wird die Partnerwahl nach Kindheit und Pubertät als »dritte Chance« der Ablösung von der Familie gesehen.
Meist gelingt es noch, in der ersten Verliebtheit den Partner gegen die Eltern zu verteidigen, aber der wahre Kraftakt fängt erst in der Beziehung an: Wie schwer wiegen die alten Werte, wie sehr gelten die alten Gesetze, wie flexibel, abgelöst und selbstständig sind die Partner, ein neues gemeinsames Regelwerk zu erschaffen? Oft genug scheitern Kinder von extrem loyalitätseinfordernden Eltern daran, mit dem Partner neu anzufangen, und bleiben in der Treuefalle der Ursprungsfamilie stecken. Je mehr Einfluss die Herkunftsfamilie hat, je weniger abgelöst wir sind, desto mehr Konflikte wird es in unseren Paarbeziehungen geben. »Ich sitze zwischen allen Stühlen, jeder will etwas von mir, alle ziehen und zerren an mir«, sind typische Aussagen von Menschen, die im Loyalitätskonflikt zwischen alter und neuer Familie stecken. Und tatsächlich kann die versuchte Ablösung eines Sprösslings einer extrem loyalen Familie ein emotionales Erdbeben auslösen, das sowohl die alte als auch die neue Familie auf die Probe stellt. Frank Förster hat so ein Erdbeben erlebt, als er leichthin eine Entscheidung fällen wollte, die schlussendlich alle enttäuschte – seine alte und seine neue Familie.
Alte Familie, neue Familie – Wenn die alten Gesetze schwerer wiegen
»Tradition (lat.) bezeichnet eine (politische oder Geistes-)Haltung, die am Herkömmlichen,
Gewohnten, Überlieferten festhält und Neuerungen
eher skeptisch gegenübersteht.«
Das Politiklexikon, 2006
Verena Schmidt und Frank Förster wollen heiraten. Die beiden erwarten ein Baby, und dann gibt es da noch den fünfjährigen Max, Verenas Sohn aus einer vorherigen Beziehung. Da allgemein der Wunsch besteht, einen gemeinsamen Nachnamen zu tragen, Verena aber nicht anders als ihr Sohn Max heißen möchte, beschließen sie, dass Frank bei der Hochzeit
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